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entdeckt 01/2014

Titel// Das Forschungsmagazin aus dem HZDR WWW.Hzdr.DE 04 05 Es ist wie ein molekulares Musical: Wenn Zellen wachsen und sich teilen, wandern und differenzieren, dann müssen Mole- küle miteinander tanzen. Ein genau abgestimmtes, rhythmi- sches Miteinander von Proteinen und Genen, Rezeptoren und Signalstoffen. Und sobald auch nur ein Spieler im Ensemble aus dem Takt gerät, endet das Stück im Chaos: Krebs. Vielleicht braucht es deshalb einen, der was vom Tanzen, von Timing und Harmonien versteht, wenn neue Therapien gegen Krebs erdacht werden sollen. Schon mit 16 Jahren wollte Nils Cordes aufs große Parkett. Ob Jazz, Swing oder Musical, den Traum vom Tanzen und Singen gab der Forscher, der heute am Nationalen Zentrum für Strahlenforschung in der Onko- logie - OncoRay sowie als Abteilungsleiter am HZDR-Institut für Radioonkologie arbeitet, auch während des Medizinstudi- ums nicht auf. „Aber irgendwann hat die Vernunft gesiegt“, sagt Cordes. Er ließ die Bühnenkarriere sausen und ging in die Krebsforschung. Für zukünftige Patienten eine vielleicht lebensrettende Entscheidung. Denn inzwischen hat Cordes’ Team entdeckt, wie sich Krebszellen von besonders aggressi- ven Tumoren stoppen lassen. Über alle Grenzen hinweg „Krebs ist eine Ganzkörper-Erkrankung“, meint Cordes. „Alles hängt zusammen, und die Integrine sind die Moleküle, die alles verbinden, über alle Grenzen hinweg.“ Integrine sind Pro- teine, die in der Zellmembran sitzen und sowohl nach außen über die Zelloberfläche als auch ins Innere der Zellen wirken. So wie sich im Musical alles dem Rhythmus des Hauptdar- stellers anpasst, so sind auch Integrine Dreh- und Angelpunkt vieler Zellfunktionen. Zum einen verbinden sie Zellen oder hängen sie wie Haken an dem Gerüst zwischen den Zellen, der Matrix, auf. Sie leiten jedoch auch Signale ins Innere der Zelle weiter, dass sie wachsen, sich teilen oder differenzieren soll. Einer dieser Hauptdarsteller, das Beta-1-Integrin, kommt besonders häufig auf der Oberfläche von Krebszellen vor. Cor- des hat nun einen Weg gefunden, es zu hemmen. Und erzielt damit erstaunliche Wirkungen. „Wir können das Einwandern von Krebszellen in gesundes Gewebe zu 80 bis 90 Prozent verhindern“, sagt Cordes. Gera- de bei Glioblastomen, besonders aggressiven Hirntumoren, tanzen die Zellen gern aus der Reihe, infiltrieren gesundes Gewebe und entkommen dadurch sowohl dem Chirurgen bei der Operation als auch Bestrahlungen und Chemotherapien. Cordes’ neue Technik kann nicht nur den Bewegungsdrang von Hirn-, sondern auch von Kopf-Hals-Tumorzellen hemmen. Damit gibt es erstmals Hoffnung für zwei Tumorarten, bei denen weder Chemo- noch Strahlentherapien in den letzten Jahren wesentliche Verbesserungen in den Überlebensraten erreichen konnten. „Der Vorteil ist, dass unsere Therapie an der Oberfläche der Zellen angreift, so dass die Wirkstoffe nicht erst durch die Zellmembran hindurch müssen“, sagt Cordes, der das Beta- 1-Integrin mit Hilfe eines Antikörpers blockiert. Damit wird jedoch nicht nur die Wanderlust der Krebszellen abgestellt, sondern sie werden auch anfälliger für Bestrahlung – offen- bar, weil die Reparatur des Erbguts nicht mehr funktioniert. Wenn die Krebszellen nach einer Beta-1-Integrin-Therapie bestrahlt werden, können sie die Schäden in ihrem Erbgut nicht reparieren und sterben ab. Aber wie kann ein Molekül wie Beta-1-Integrin, das doch an der Zelloberfläche sitzt, die DNA-Reparatur beeinflussen, die im Innersten der Zelle, im Zellkern, abläuft? Die Antwort findet sich in der besonderen Choreographie der Zelle. „Es gibt eine Reihe von Proteinen, die sowohl mit dem Integrin wechselwirken als auch im Zellkern eine Funktion haben und sich deshalb hin und her bewegen“, sagt Cordes. „Doch wenn das Integrin blockiert ist, führt das zu einem Re-Arrangement.“ Die Choreographie gerät durcheinander, die molekularen Tänzer verpassen ihre Partner, und die Krebszelle wird anfällig für Strahlentherapie. Krebs in drei Dimensionen Cordes’ Forscherteam kam dem Integrin auf die Spur, weil die Forscher die menschlichen Krebszellen nicht in flachen Petrischalen untersuchen, sondern in einer dreidimensio- nalen, gerüstartigen Matrix aus Stoffen, die die Zellen im Körper selbst produzieren: Laminin, Kollagen I sowie IV und Fibronectin. „Das sieht dann ganz ähnlich aus wie echtes Tumorgewebe“, sagt Cordes. Die Krebszellen, die die Forscher aus Biopsien von Patienten bekommen, wachsen in dieses Gerüst so gut ein, dass die Krebsgewebestücke bis zu 500 Mikrometer groß werden. Diese Größe kommt der Situation im realen Tumor sehr nahe. Wie im Patienten bilden sich zum Beispiel Gegenden, in denen die Krebszellen wenig Sauerstoff oder Nährstoffe bekommen, weil sie nicht an den Blutkreislauf angeschlossen sind. Eine Situation, die entscheidend für das Verhalten der Krebszellen ist, in normalen Krebszell-Kulturen aber nicht vorkommt und zu falschen Forschungsergebnissen führen kann. „Wir haben beobachten können, wie die Krebs- zellen an Strängen von Kollagen I entlang wandern“, erzählt Cordes. „Wenn wir aber Kollagen IV als Gerüst anbieten, dann können die Zellen nicht mehr wandern.“ Das ist deshalb so in- teressant, weil sich Hirntumorzellen ihr eigenes Gerüst bauen Eine neue Methode kann den Bewegungsdrang von Hirn- sowie von Kopf-Hals-Tumorzellen hemmen.

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