Kontakt

Dr. René Heller

Lei­ter Ionen­strahlanalytik
r.hellerAthzdr.de
Tel.: +49 351 260 3617

Zerstörungsfreie Ionenstrahlanalyse von Kunstwerken

[Methode] [Objekte] [Vorteile] [Grenzen] [Beispiele] [Kollaboration] [Publikationen]


Zielstellung

Erhaltung

Früherkennung einsetzender Schädigung bzw. rechtzeitiges Feststellen potentieller Schadensrisiken ermöglichen eine vorbeugende Konservierung gefährdeter Kunstwerke aus Glas mit wenig resistenter Zusammensetzung.

Kunsttechnologie

Kenntnisse zu Technologie und verwendeten Materialien für spezielle ästhetische Effekte an Kunstwerken helfen den Kunstwissenschaftlern bei der Zuordnung vorhandener Werke zu ihren Erschaffern. Restauratoren leiten aus solchen Befunden Erfordernisse vorsorglicher Konservierungsmaßnahmen ab, so z. B. zur Vermeidung alterungsbedingter Veränderungen von Farben oder sukzessiven Verderbs empfindlicher Trägermaterialien wie historische Papiere oder Pergamente.

Authentizität

In günstigen Fällen genügt die einfache Elementanalyse, um Kopien oder Fälschungen zu identifizieren. Das trifft insbesondere für Untersuchungen zu chromophoren Elementen von Pigmenten zu. Das vorliegende Wissen zur Pigmentchronologie lässt Widersprüche zwischen vorgegebener und möglicher Datierung eines Kunstwerkes leicht erkennen.


Methode

Der fokussierte Strahl energiereicher Protonen verlässt das unter Vakuum stehende Strahlrohr durch eine dünne HAVAR® Metallfolie und trifft auf das Analysenobjekt welches an Luft positioniert ist. Die Protonen werden entlang ihres Weges im Material abgebremst; dabei ereignen sich Coulomb-Wechselwirkungen und Kernreaktionen mit den Atomen der zu analysierenden Substanzen. Die „getroffenen“ Atome emittieren Röntgen- and Gamma-strahlung deren Energien charakteristisch sind für das individuelle chemische Element. Spezielle Detektoren in geeigneter Anordnung gestatten eine Multielementanalyse (PIXEund PIGE Messtechnik) über fast das gesamte Periodensystem. Simultane Messung der reflektierten Protonen (RBS) gibt Auskunft über Elemente an der Objektoberfläche und ermöglicht tiefenabhängige Informationen im oberflächennahen Bereich der Messposition.


Objekte

Silikatische Materialien

d.h. museale Objekte aus historischem Glas oder Email. Je nach der Zusammensetzung wird Glas durch feuchte Atmosphäre mehr oder minder angegriffen. Glasoberflächen können dabei zerstört werden. Degeneriertes Glas ist nicht restaurierbar. Deshalb sind frühe Erkennung möglicher Schadensbildung, gegebenenfalls spezielle Aufbewahrung und präventive Konservierung unerlässlich. Für optische Effekte wurden Glasoberflächen möglicherweise speziell behandelt, z. B. Irisierungen. Erkenntnisse über solche Technologien können durch PIXE in Kombination mit RBS gewonnen werden.

Malerei

Pigmente von Ölgemälden und Pastellen erkennt man aus PIXE Spektren; selbst empfindliche Aquarelle, Buchmalerei, Handzeichnungen and Tinten auf Papier oder Pergament lassen sich so zerstörungsfrei untersuchen. Die Messtechnik ist auch geeignet zur Untersuchung von Glas- und Porzellanmalerei.

Metalle

Patina, z. B. auf Münzen aus Kupfer-Silber-Legierungen, kann bis über einhundert Mikrometer dick sein. Solche Dicken sind größer als die Informationstiefe der Ionen-strahlanalyse. Gold ist von allen Metallen das am wenigsten reaktive. Natürliche Deck-schichten auf Gold sind äußerst dünn; sie trüben lediglich das Reflexionsvermögen der Goldoberfläche. Edelmetalle sind resistent gegen Korrosion, dennoch bildet z. B. Silber leicht Überzüge aus Silbersulfid. Daher kann nur Gold ohne mechanische Vorbehandlung analysiert werden. Metallische Funde erfordern oft eine Analyse am Querschliff.

Organische Lacke and Überzüge

Deckschichten, z. B. der Firnis auf einem Gemälde, sind mittels RBS nachweisbar. Fremdelemente in organischen Materialien werden von PIXE/PIGE erfasst.

Material Analytische Information

Glas, Email(le)

  • chemische Zusammensetzung, veränderte Oberfläche, Erhaltungszustand

Malerei

  • chromophore Elemente von Pigmenten, Neben- und Spurenelemente

  • Maltechnik, z. B. Erkennung von Malschichten (Ölgemälde), Identifizierung von Zeichengeräten (Handzeichnungen)
  • Registrierung und Dicke organischer Deckschichten - Firnis, Krapplack Fremdatome in organischen Überzügen

Metalle

  • Zusammensetzung von Metalllegierungen, Gold- und Silberauflagen, Goldoberflächen direkt analysierbar, andere Metalle oft nach mechani-scher oder chemischer Präparation


Vorteile

  • Keine Probenahme
  • Zerstörungsfreie Analyse an Atmosphäre
  • Punktuelle Analyse (~ 1 mm2), Untersuchung kleiner Details möglich - Miniaturen
  • Einfache und reproduzierbare Positionierung, manuell oder über Computer
  • Kurze Messzeiten (0.5 - 5 min) bei geringem Protonenstrom (< 0.5 nA)
  • Empfindliche Multielementanalyse von Haupt- und Begleitelementen
  • Materialanalyse mit Tiefenauflösung (einige µm), Nachweis von Schichtstrukturen

Grenzen

  • Territoriale Bindung der Untersuchungen an den stationären Teilchenbeschleuniger
  • Chemische Bindungen sind der Analyse nicht zugänglich
  • Präsenz organischer Deckschichten nachweisbar, jedoch chemisch nicht identifizierbar

Praktische Durchführung

Transportrisiken, Unterbrechung der im Museum eingestellten Klimatisierung, Kosten für Verpackung und Versicherung usw. erfordern eine Vorauswahl der am Strahl zu untersuchenden Kunstwerke. Diese sollte vor Ort, also im Museum oder in der Sammlung sorgfältig vorgenommen werden. Transportable XRF Messplätze, nicht größer als eine Fernsehkamera, sind dafür bestens geeignet.


Beispiele

Glaskorrosion

Permanenter Kontakt mit der natürlich feuchten Umgebung kann Glasoberflächen zerstören. In einer oberflächennahen Schicht werden Alkali-Ionen (Na, K) and Erdalkali-Ionen (Ca, Ba) ausgelaugt und Bestandteile von Wasser (H, OH, H2O) eingebaut. Schichtdicken dkorr > 3 µm registriert bereits das RBS Spektrum. Vergleichende Ergebnisse von PIXE und PIGE zeigen sogar beginnende Glaskorrosion an: Auslaugung von Spezies erhöht die Si Konzentration in der veränderten Tiefenregion nahe an der Oberfläche. Si-K Röntgenstrahlung (ESi = 1.74 keV) entstammt vorrangig diesem Gebiet, während die härtere Si γ-Strahlung (ESi = 1779 keV) auch aus dem ungestörten Glasvolumen kommt. Wachsende Dicke der ausgelaugten Schicht hat daher ein ansteigendes Konzentrationsverhältnis Si(PIXE)/Si(PIGE) zur Folge.

Die vollständige Zusammensetzungsanalyse von Glas oder Email liefert das PIXE Spektrum im Zusammenspiel mit PIGE für nicht gealterte oder nur schwach geschädigte (dkorr < 7 µm) museale Objekte.


Malschichten

Die Identifizierung von Malschichten wird möglich durch Variation der Energie des Protonenstrahles. PIXE Spektren, gemessen bei verschiedenen Protonenenergien Ep, liefern relative Konzentrationen für die chromophoren Elemente Ze in unterschiedlichen Tiefenbereichen. Mit wachsender Ep zeigt steigende/fallende Konzentration von Ze die Präsenz dieses Elements in einem tiefer/höher liegenden Intervall einer Pigmentschichtung an. Grundlegende Erfahrungen zu dieser Messtechnik wurden aus PIXE Untersuchungen an speziell präparierten Testmalschichten gewonnen.

PIXE Spektren wurden bei verschiedenen Protonenenergien Ep gemessen. Sie liefern folgende Ergebnisse:

Arrangement

Ep[MeV]

Ca

Cu

Pb

Kalkgrund (~ 360 µm)

1.4
2.6
3.9

99.7
99.6
99.6

0
0
0

0
0
0

Grünspan (~ 89 µm)

1.4
2.6
3.9

2.5
19.3
27.5

97.5
80.7
72.0

0
0
0

Bleiweiß (~ 30 µm)

1.4
2.6
3.9

0.2
0.4
0.2

0
0
0

92.2
91.5
93.8

Grünspan (40 – 88 µm) über Bleiweiß (12 – 30 µm)

1.4
2.6
3.9

2.3
2.1
0.5

89
51
35

8
45
62

Grünspan ausgemischt (1:1) mit Bleiweiß (~ 165 µm)

1.4
2.6
3.9

-
0.4
0.2

11
16
22

82
78
74

Abb. 4:: Relative Konzentrationen( gewt%) von chromophoren Elementen, gewonnen aus den PIXE Spektren der oben beschriebenen Testmalschichten. Schichtdicken wurden mittels optischer Mikroskopie gewonnen an Querschliffen von in Kunstharz eingebetteten Proben.


Lucas Cranach der Ältere
Abb. 5: Ölgemälde “14 Nothelfer” von Lucas Cranach der Ältere (Bildrechte: Ev. Kirchengemeinde Torgau):  das rote Gewand des Heiligen Christopherus war zur Untersuchung der Maltechnologie von besonderem Interesse.

Ölgemälde

Die anfängliche Maltechnik Lucas Cranach’s des Älteren zeigt sein Frühwerk “14 Nothelfer”. PIXE Analysen wurden bei den zwei Protonenenergien 2.1 MeV and 3.9 MeV vorgenommen. Exemplarisch zeigt die Tabelle Ergebnisse vom roten Gewand des Heiligen Christopherus.

Ep[MeV]

Hg

Pb

Ca

2.1

56.9

32.1

8.7

3.9

35.9

57.1

4.9

Abb. 7: Relative Konzentrationen* (gew%) von Haupt- und Nebenelementen in den PIXE Spektren vom roten Gewand des Heiligen Christopherus (“14 Nothelfer”, Lucas Cranach der Ältere). (*der Rest zu 100 gew% fällt auf die Begleitelemente K, Fe, Cu, Zn).

PIXE Spektrum: Lucas Cranach Bild ©Copyright: Dr. Neelmeijer, Christian

Abb. 6: Röntgenspektren vom roten Gewand des Heiligen  Christopherus (“14 Nothelfer”, Lucas Cranach der Ältere) gemessen bei zwei Protonenenergien© Dr. Neelmeijer, Christian

Die Zahlenwerte in der Tabelle identifizieren ein Arrangement von Malschichten: Bleiweiß (Pb) unter Zinnober (Hg, S). Visuell entsteht summarisch das aufgehellte Rot des Gewandes. Bei 2.1 MeV Energie Wechselwirken die Protonen vorrangig mit den Atomen der oben liegenden  Zinnoberschicht (HgS). Mit zunehmender Protonenenergie, hier bei 3.9 MeV, tragen die Pb Atome vom tiefer liegenden Bleiweiß mehr zum Röntgenspektrum bei. Die Ca Röntgenstrahlung wird von der Kalkgrundierung emittiert, sicher aber auch von Kalziumanteilen im Malmaterial. Niederenergetische Ca Röntgenstrahlung (ECa-K = 3.7) keV wird durch die Hg and Pb Atome der Pigmente stark absorbiert. Deshalb werden die Ca-K Intensitäten nicht für Interpretationen herangezogen.

Schlussbemerkungen

Die Auswertung des PIXE Spectrums liefert sowohl die chromophoren Hauptelemente als auch Begleitelement und Verunreinigungen. Maltechnische Kenntnisse gestatten den Schluss von Pigmenten aus dem gemessenen Spektrum der Elemente. Während die Pigment relevanten Hauptelemente charakteristisch für den historischen Zeitraum der Bildent-stehung sind, liefert die Kenntnis der Begleitelemente möglicherweise einen wertvollen Beitrag bei der Ermittlung seiner Provenienz. Das zugehörige PIGE Spektrum gestattet insbesondere den Nachweis leichter Elemente Z < 15.  Organische Deckschichten wie Firnislasuren oder organischer Lack, wird durch das simultan gemessene RBS Spektrumangezeigt. Chemische Bindungen können durch das Messverfahren nicht erkannt werden.

Das Tiefenprofil der chromophoren Elemente, d. h. die Anordnung der verschiedenen Malmaterialien als Malschichten oder Pigmentausmischungen ist hilfreich bei der Abklärung individueller Maltechniken von Künstlern. PIXE bei verschiedenen Protonenenergien, folglich verschiedenen Informationstiefen, ist dafür ein geeignetes Messverfahren.


Gold

Die “Himmelsscheibe von Nebra” (Frühe Bronzezeit), eine der spektakulärsten archäologi-schen Funde der letzten Jahre, wurde in Sachsen-Anhalt (Sangerhausen, Deutschland, 1997/98) entdeckt und 2002 an die Öffentlichkeit gebracht. An jedem Detail der Scheibe wurde die Goldzusammensetzung analysiert. Die Untersuchungen sollten helfen, Antworten auf Fragen nach der originalen Fassung bzw. späteren Zutaten zu finden.

Himmelsscheibe von Nebra PIXE Spektrum von der Himelsscheibe von Nebra
Abb. 8: Die “Himmelsscheibe von Nebra” zur Goldanalyse positioniert am Rossendorfer externen Protonenstrahl (links © Dr. Neelmeijer) mit typischem PIXE Spektrum (rechts, © Dr. Neelmeijer). Die Ag/Au und Cu/Au Konzentrationsverhältnisse dienten der Charakterisierung der einzelnen Goldverzierungen.

Die “Himmelsscheibe von Nebra” gehört zu einem größeren Hortfund, der neben Schmuck und Werkzeugen auch zwei Schwerter enthält, deren Herkunft durch Archäologen der frühen Bronzezeit zugeschrieben wird. Für zwei zierende Goldringe an den Griffen wurden Zusammensetzungen gefunden, die dem Gold von Sternen, Sonne, Mond und Horizont auf der Himmelsscheibe entsprechen.


Kollaboration

National

International


Publikationen

  •  
  • C. Neelmeijer, R. Roscher, PIXE-RBS survey of a Meissen porcelain snuff box: first version or not?, X-Ray Spectrometry 41 (2012) 93-97
  • F. M. Eder, C. Neelmeijer, N. J. G. Pearce, M. Bichler, J. H. Sterba, T. Ntaflos, S. Merchel, Volcanic glass under fire – a comparison of three complementary analytical methods, X-Ray Spectrometry 42 (2013) 412-422
  • R. Bugoi, I. Poll, G. Manucu-Adamesteanu, C. Neelmeijer, F. Eder, Investigations of Byzantine glass bracelets from Nufaru, Romania using external PIXE-PIGE methods, Journal of Archaeological Science 40 (2013) 2881-2891
  • C. Neelmeijer, U. Pietsch, H. Ulbricht, Eighteenth-century Meissen Porcelain reference data obtained by proton-beam analysis (PIXE-PIGE), Archaeometry (2014), DOI: 10.1111/arcm.12050