Kontakt

Dr. Hendrik Hessenkemper

h.hessenkemperAthzdr.de
Tel.: +49 351 260 4719

Experimente für die Entwicklung und Validierung von Schließungsmodellen

Motivation

Blasenströmungen sind in vielen Anwendungen der Chemie-, Bio- und Energietechnik zu finden. Zuverlässige Simulationswerkzeuge für solche Strömungen, die den Entwurf neuer Prozesse und die Optimierung bestehender Prozesse ermöglichen, sind daher äußerst wünschenswert. CFD-Simulationen, die den Multi-Fluid-Ansatz verwenden, sind sehr vielversprechend, um ein solches Entwurfswerkzeug für komplette Anlagen bereitzustellen. Beim Multi-Fluid-Ansatz müssen jedoch Schließungsmodelle formuliert werden, um die Wechselwirkung zwischen der kontinuierlichen und der dispergierten Phase zu modellieren. Aufgrund der komplexen Natur von Blasenströmungen müssen verschiedene Phänomene berücksichtigt werden, und für jedes Phänomen gibt es unterschiedliche Schließungsmodelle. Für eine Validierung der Modelle werden Experimente benötigt, die möglichst alle relevanten Phänomene einer Blasenströmungen beschreiben. Da solche Daten in der Literatur rar sind, werden in der Abteilung mehrere "CFD-grade" Experimente durchgeführt. Dazu werden Konzepte zur Messung von Gasanteilsverteilungen mit entsprechender Blasengröße, -form und -geschwindigkeit zusammen mit Flüssigkeitsgeschwindigkeitsfeldern entwickelt.


Methoden: Kontinuierliche Phase

Particle Shadow Velocimetry (PSV)

Particle Image Velocimetry (PIV) ist ein häufig verwendetes Messverfahren zur Bestimmung von Flüssigkeitsgeschwindigkeitsfeldern und zur Ableitung wichtiger Größen wie Wirbelstärke, Scherung oder jeder Art von Turbulenzparameter. In Blasenströmungen kann die dispergierte Gasphase jedoch eine inhomogene Beleuchtung aufgrund unerwünschter seitlicher Schatten der Blasen sowie starker Lichtstreuung und Reflexion an den Gas-Flüssigkeits-Grenzflächen verursachen. Um diese Probleme zu umgehen, haben wir kürzlich die Methode der Particle Shadow Velocimetry (PSV) für dispergierte Zweiphasenströmungen entwickelt. Das Merkmal einer solchen Messung ist die Verwendung einer volumetrischen direkten Inline-Beleuchtung mit z. B. LED-Rückstrahlern für den Messbereich, wodurch Streueffekte stark reduziert werden und keine seitlichen Blasenschatten auftreten. Durch die Verwendung einer geringen Schärfentiefe  können scharfe Tracerpartikelschatten innerhalb des Schärfenbereichs identifiziert und die Partikelverschiebung in einer PIV-ähnlichen Weise ausgewertet werden [1].



3D Lagrangian Particle Tracking (LPT)

Für 3D-Messungen verwenden wir den Open-Source-Code OpenLPT [2], der den Shake-the-Box-Algorithmus verwendet, um hohe Konzentrationen an Tracerpartikel in Lagranger-Manier zu verfolgen. Die Bilder werden mit mehreren Hochgeschwindigkeitskameras aufgenommen und die Strömung wird wieder mit hochintensiven LED-Clustern hintergrundbeleuchtet (ähnlich wie bei der oben erwähnten PSV-Technik, siehe Abbildung 2 links).

Abbildung 2 Links: Achteckige Versuchsstand mit mehreren Kameras und LEDs. Rechts: 3.000 Tracerbahnen aus 3D-LPT-Messungen in einer Blasensäule.


Methoden: Dispergierte Phase

2D Blasenerkennung

Eine automatisierte und zuverlässige Verarbeitung von Bildern von Blasenströmungen ist dringend erforderlich, um große Datensätze umfassender Versuchsreihen zu analysieren. Für einzelne Blasen, die in den aufgenommenen Bildern isoliert auftreten, haben Algorithmen zur Kantendetektion eine hohe Zuverlässigkeit und Genauigkeit bewiesen. Eine besondere Schwierigkeit ergibt sich bei Aufnahmen von Blasenströmungen durch überlappende Blasenprojektionen in den Bildern, was die Identifizierung einzelner Blasen erheblich erschwert. Aufgrund der jüngsten Fortschritte von Deep-Learning-Modellen im Bereich der Mustererkennung und der damit verbundenen Aufgabe der Objekterkennung verfolgen wir auch in diesem Bereich Entwicklungen, um überlappende Blasen in Bildern zu erkennen und zu rekonstruieren [3].



2D Blasennachverfolgung

Die anschließende Verfolgung mehrerer detektierter Blasen in unmittelbarer Nähe stellt eine weitere Herausforderung dar. Der Tracker muss nicht nur robust gegen Ungenauigkeiten des Detektors, d. h. fehlende oder falsche Erkennungen, sein, sondern auch in der Lage sein, Blasen zu verfolgen, die selbst für mehrere Zeitschritte vollständig verdeckt sind, während gleichzeitig zahlreiche mögliche Assoziationen in der näheren Umgebung bestehen. Um diese Probleme zu lösen, setzen wir auch hierfür Deep-Learning-Modelle ein und verwenden einen graphenbasierten Verfolgungsformalismus, der in der Lage ist, mehrere Blasen in Blasenschwärmen über lange Zeitspannen zu verfolgen [4].



Experiment: Blaseninduzierte Turbulenz

Blaseninduzierte Turbulenz (BIT) spielt eine wichtige Rolle bei der Vermischung, dem Transport und der Kollision von kleinen Partikeln in vielen natürlichen und industriellen Anwendungen. Wir untersuchen die Eigenschaften blasenbeladener turbulenter Strömungen auf verschiedenen Skalen und konzentrieren uns dabei auf die kinetische Energie der Strömung, Anisotropie, Energieübertragung und extreme Ereignisse. Bei den Experimenten wurden entweder 2D-PSV- oder 3D-LPT-Messungen durchgeführt, um die Strömung in einer Säule zu messen, die durch einen homogenen in Wasser aufsteigenden Blasenschwarm erzeugt wird. Darüber hinaus erforschen wir die Lagrange-Beschreibung von BIT, z. B. die relative Partikelpaar-Dispersion, die auf der relativen Trennung von Tracerpartikeln beruht. Ziel ist es, sowohl ein grundlegendes Verständnis und eine Charakterisierung der multiskaligen Physik [5,6] dieser Strömungen zu entwickeln als auch neue Modelle zur Vorhersage ihres Verhaltens [7,8].


Abbildung 5 Links: Kleinskalige 2D-PSV-Messungen. Rechts: Transversale (a) und longitudinale (b) Strukturfunktion zweiter Ordnung entlang der horizontalen Richtung für verschiedene Blasengrößen (Sm-Small/La-Large) und Gasanteile (Less/More).


Experiment: Blasencluster

Wir untersuchen die Entwicklung von Blasenclustern in einem Schwarm von frei aufsteigenden Blasen unter verschiedenen Strömungsbedingungen. Unser Algorithmus mit Hilfe von maschinellem Lernen [3,4] ermöglicht es uns, Blasen in Clustern zu identifizieren und zu verfolgen und die Lebensdauer/Ausrichtung von Clustern zu messen. Diese umfassenden Informationen sind für das Verständnis der kollektiven Dynamik von Blasen unerlässlich und können z. B. zur Untersuchung der Aufstiegsgeschwindigkeit von Blasenschwärmen [4] verwendet werden, die sich von der einer einzelnen Blase erheblich unterscheiden kann.


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Abbildung 6: Identifizierte Blasencluster in der Mitte einer homogen begasten Blasensäule.


Experiment: Einzelblasen Liftkraft in niedrig-viskosen Systemen

Die laterale Liftkraft, die sich stark auf die räumliche Verteilung der Blasen auswirkt, ist eine der wichtigsten Nicht-Widerstandskräfte. Die Messung der Liftkraft von ellipsoidischen Blasen in einem Scherfeld ist jedoch eine sehr schwierige Aufgabe. Kürzlich hat unsere Gruppe einen speziellen Versuchsaufbau entwickelt, der die Erzeugung eines stabilen linearen Scherfeldes in Luft-Wasser-Systemen ermöglicht. Zusammen mit einem Mittelungsverfahren, das geeignet ist, unregelmäßige Bewegungen von Blasen mit hoher Reynoldszahl zu berücksichtigen, konnten wir den Liftkoeffizienten von ellipsoiden Blasen experimentell bestimmen [9]. Darüber hinaus konnten wir zeigen, wie Tenside und selbst winzige Mengen von Verunreinigungen im Leitungswasser die Stärke der Liftkraft verändern können [10,11,12].


Abbildung 7 Links: Versuchsaufbau zur Erzeugung einer linearen Scherströmung.Rechts: Mittlungsverfahren zur Bestimmung des mittleren Blasenaufstiegswegs.

Abbildung 8: Liftkoeffizient für verschiedene modifizierte Eötvös-Zahlen von ellipsoiden Blasen in Wasser.


Experiment: Stabilität von Blasensäulen

Die Rolle der sogenannte Liftkraft ist entscheidend um die Regime-Wechsel in Blasenströmungen zu verstehen [13]. Diese Kraft wirkt überwiegend horizontal in den Schwerkraft ausgerichtete Reaktoren. Das Vorzeichen der Kraft kann in bestimmten Strömungszuständen wechseln, insbesondere durch wachsen oder schrumpfen der Blasen. In Blasensäulen wandern Blasen mit positivem Vorzeichen zur Wand, insbesondere tendieren sie Geschwindigkeitsspitzen zu meiden und umgedreht. Um diese Aufteilung der Blasen nach Größe zu studieren, wurde eine Blasensäulen mit hohem Seitenverhältnis und variablem Gasverteiler aufgebaut. Das hohe Seitenverhältnis erreicht die Strömung einen quasi stationären Zustand, durch den variablen Gasverteiler kann ein Mix aus kleinen und großen Blasen eingestellt werden. Kleinere Blasen wirken dabei stabilisierend auf die Strömung was das homogene Regime begünstigt, große Blasen wirken destabilisierend und begünstigen eine inhomogene Strömung [14].



Referenzen