Untersuchung von Umweltkolloiden


Was sind Kolloide?

Im Physik- und Chemieunterricht lernt man die drei Zustände der Materie kennen - fest, flüssig und gasförmig. Gelehrt werden auch die Gesetzmäßigkeiten der Phasenumwandlungen - Schmelzen, Sublimieren und Kondensieren. Zunächst werden reine Substanzen besprochen, danach werden Lösungen behandelt. Lösungen sind homogene Mischungen chemischer Stoffe, die in molekularem Maßstab dispergiert sind. Weitgehend unerkannt blieb aber bis vor etwa hundert Jahren das Vorhandensein eines Zwischenstadiums der Materie, der zwischen der makroskopischen Volumenphase und molekular-dispersen Systemen liegt. In solchen Systemen ist eine Komponente in einer anderen fein dispergiert, der Grad der Feinverteilung ist jedoch geringer als in einfachen molekularen Lösungen. Systeme dieser Art, Kolloide genannt, haben besondere Eigenschaften. Es sind diese besonderen Eigenschaften, welche die Untersuchung kolloidaler Systeme schwierig machen und lange Zeit die Erfolge solcher Untersuchungen in engen Grenzen hielten.

Obwohl bereits die Alchemisten mit kolloidalen Lösungen experimentiert haben und die ersten systematischen wissenschaftlichen Untersuchungen an Kolloiden 1856 durchgeführt wurden (Faraday), schrieb noch 1931 der englische Physiker Hedges: 'Für manche ruft das Wort Kolloid Vorstellungen von Dingen hervor, die in ihrer Gestalt, in ihrer chemischen Zusammensetzung und bezüglich ihrer physikalischen Eigenschaften nicht definiert und unbeständig in ihrem chemischen Verhalten sind; Dinge also, die rätselhaft und unkontrollierbar sind.' Der deutsche Physikochemiker Ostwald (1853-1932) beklagte den Erkenntnisrückstand auf dem Gebiet der Kolloidforschung und nannte die Welt der Kolloide 'die Welt der vernachlässigten Dimensionen'.

Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde die weitgehende Ratlosigkeit bezüglich des kolloidalen Zustandes zunehmend überwunden. Die experimentellen Schwierigkeiten, die sich einer Aufklärung des Verhaltens von Kolloiden entgegenstellen, bewirken jedoch auch heute noch eine gewisse Tendenz, das Auftreten von Kolloiden bei chemischen Experimenten möglichst zu vermeiden oder, wo dies nicht geht, die Anwesenheit von Kolloiden zu vernachlässigen.

Die besonderen Eigenschaften der Kolloide resultieren vor allem aus ihrer großen spezifischen Oberfläche, welche auf die feine Verteilung der Kolloidpartikel im Dispersionsmittel zurückzuführen ist. Die Größe von Kolloidpartikeln liegt im Bereich von 1 Nanometer (1 Millionstel Millimeter) bis 1 Mikrometer (1 Tausendstel Millimeter). Bedenkt man, daß Atom- und Moleküldurchmesser gewöhnlich im Bereich von einigen Zehntel Nanometer liegen, so wird klar, daß der prozentuale Anteil an Atomen/Molekülen, die sich an einer Phasengrenze befinden in kolloidalen Systemen bedeutend größer ist als in kompakten makroskopischen Festkörpern (ähnlich, wie der prozentuale Anteil der Grenzanwohner an der Gesamtbevölkerung in einem Kleinstaat wie Luxemburg größer ist als in einem Flächenstaat wie den USA). Aus dem hohen Anteil an phasengrenznahen Atomen/Molekülen erwachsen die besonderen Eigenschaften von Kolloiden. Eine dieser besonderen Eigenschaften ist z.B. die Instabilität vieler Kolloide (Neigung zur Koagulation). Nicht zuletzt sie erschwert die experimentelle Untersuchung kolloidaler Systeme. Sie bewirkt, daß ein sehr großes Problem bei Kolloiduntersuchungen Artefakte durch ungewollte Veränderungen der Kolloide während der Probenahme und der experimentellen Untersuchung sind.

Welche bekannten Beispiele gibt es?

Beispiele für kolloidale Systeme 'Feststoff in Flüssigkeit' sind Lacke und Farben, Tonschlicker, Latexsuspensionen oder auch Blut. Ein Flüssig-Flüssig-Kolloid ist Milch. Beispiele makromolekularer Kolloide sind Gelees, Polysaccharidlösungen und Leime. Vom griechischen Wort für Leim rührt auch der Ausdruck 'Kolloid' her. Er wurde 1861 von dem schottischen Chemiker Graham, welcher als der Begründer der Kolloidchemie gilt, geprägt.

Was sind Umweltkolloide?

Eine der auffälligsten Eigenschaften von kolloidalen Lösungen ist, daß sie das Licht streuen (Tyndall-Effekt), oft sichtbar trüb oder sogar völlig opak sind. Letzteres trifft z.B. auf Milch zu. Sichtbar trübe Kolloide spielen auch in der Umweltforschung eine Rolle. Typischer für Umweltuntersuchungen sind aber kolloidale Lösungen, denen man mit dem bloßen Auge ihren Partikelgehalt nicht oder kaum ansieht. Mancher 'klassische' Kolloidchemiker würde vielleicht zögern, z.B. ein glasklares Grundwasser als eine kolloidale Lösung anzusprechen. Nichtsdestotrotz, empfindlichere Instrumente als das menschliche Auge weisen nach, daß in jedem natürlichen Wasser Partikel des kolloidalen Größenbereichs (1 nm bis 1 µm) enthalten sind. Klare Grundwässer zeigen typischerweise Kolloidpartikelgehalte von 0.01 bis 1 mg/l. Typische Partikelanzahlkonzentrationen solcher Wässer sind 1012 bis 1014 Partikel/Liter. In trüben Flußwässern können die Kolloidgehalte entsprechend höher sein (wir rechnen allerdings die für solche Wässer typischen 'Schwebstoffe' mit Partikelgrößen von über 1 µm nicht mit zu den Kolloidpartikeln). Die häufig sehr niedrigen Kolloidkonzentrationen natürlicher Wässer fügen bei Umweltuntersuchungen den bereits beschriebenen experimentellen Schwierigkeiten der Kolloidforschung weitere Schwierigkeiten hinzu.

Die anorganischen Kolloidpartikel gelangen im wesentlichen auf zwei Wegen in natürliche Wässer: durch die Verwitterung des umströmten Gesteins werden Gesteinsfragmente in das Wasser gespült und durch chemische Ausfällung können sich im Wasser Partikel aus echt gelösten Substanzen bilden (Sekundärmineralbildung). Nach den unterschiedlichen Entstehungsmechanismen kann man in verschiedene Kolloidgruppen unterteilen. Zur ersten Gruppe gehören vor allem silikatische Kolloide (Schichtsilikate, Quarz etc.). Zur zweiten Gruppe, der Gruppe der Sekundärmineralkolloide, zählen z.B. Oxide, Hydroxide oder Karbonate des Eisens, Aluminiums, Mangans und Kalziums. Eine weitere Kolloidgruppe in der Umwelt sind organische Kolloide (Fulvinsäuren, Huminsäuren, Humine, Polysaccharide). Sie entstehen durch den Abbau von pflanzlichen und tierischen Überresten. Schließlich bilden biologische Partikel (Bakterien, Viren, Pilze) eine vierte Kolloidklasse in natürlichen Wässern.

Warum untersuchen wir Umweltkolloide?

Analysen des Schadstofftransports durch Grund-, Bergbau- oder Oberflächenwässer sowie Rechenmodelle zur Voraussage dieses Schadstofftransports behandeln die natürliche Umwelt im allgemeinen als ein Zweiphasensystem, in dem die Schadstoffe (Radionuklide, giftige Schwermetalle, organische Gifte) zwischen einer mobilen wäßrigen Phase und einer immobilen festen Phase (den Fels- oder Bodenbestandteilen) verteilt sind. Die Fortbewegung (Migration) von Schadstoffen mit einer starken Neigung zur Adsorption am Gestein der festen Phase wird nach diesem Ansatz relativ zur Fortbewegungsgeschwindigkeit des Wassers verzögert. Substanzen mit sehr starker Neigung zur Adsorption an den Wänden sollten sich z.B. in einem Grundwasserleiter nahezu gar nicht vorwärtsbewegen. Nun gibt es jedoch in zunehmendem Maße Beobachtungen und experimentelle Befunde, die zeigen, daß unter bestimmten Umgebungsbedingungen der Anteil der festen Phase, der im Wasser in suspensierter Form als Kolloidpartikel vorliegt, nicht zu vernachlässigen ist. Es ist leicht einzusehen, daß die Schadstoffe, die zur Adsorption an Feststoffen neigen, auch an diesen Partikeln sorbiert werden.

Die Gesamtmasse der Kolloidpartikel ist meist gering. Aus den genannten Gründen besitzen die Partikel aber eine hohe spezifische Oberfläche. Sie bieten den sorbierenden Schadstoffen deshalb reichlich Sorptionsplätze an. Die Assoziation von Schadstoffen mit dieser zusätzlichen mobilen Phase kann die Geschwindigkeit des Schadstofftransports erhöhen. Umgekehrt können Filtrationseffekte oder die Koagulation und Abscheidung von Kolloiden auch verzögernd auf den Schadstofftransport wirken. Die Beurteilung konkreter Kontaminationsfälle, die Vorhersage der Ausbreitungsszenarien im Umfeld von kontaminierten Arealen und von Gefährdungspotentialen sowie die Erarbeitung von wirksamen Strategien zur Sanierung von kontaminierten Gebieten - sie alle erfordern ein fundiertes Verstehen der migrationsverstärkenden wie auch der migrationshemmenden Wirkungen von Kolloidpartikeln auf die Schadstoffe. Als praktischer Hintergrund sind dabei z.B. die Problematik der Schadstoffmigration im Umfeld von Bergwerken (z.B. den aufgelassenen sächsischen Uranbergwerken) oder die Bewertung des Langzeitverhaltens von Endlagern radioaktiver Abfälle zu denken.

Auch bei den Umweltkolloiden zeigen sich die für die Kolloidforschung typischen experimentellen Schwierigkeiten. Sie erklären, weshalb bei Abschätzungen für die Schadstoffmigration die Kolloidfrage noch immer häufig vernachlässigt wird. Der kolloidunterstützte Schadstofftransport gilt als schwer faßbar, die Ergebnisse von Kolloidexperimenten sind oft schlecht reproduzierbar, die Ableitung quantitativer Gesetzmäßigkeiten ist oft wenig erfolgreich. Zunehmend setzt sich aber die Erkenntnis durch, daß ein simples Ignorieren die unglücklichste Variante eines Umgangs mit der Kolloidproblematik ist. In der rennomierten Wissenschaftszeitschrift Nature stellte der amerikanische Geochemiker Honeyman 1999 zutreffend fest, daß der kolloidunterstützte Transport von Schadstoffen zu einer Art von Gordischem Knoten für die Umweltwissenschaftler geworden ist. Auch Honeymans Auffassung, daß dieser Gordische Knoten noch nicht durchschlagen ist, teilen wir.

Wie untersuchen wir Umweltkolloide?

Folgende Techniken stehen uns in Rossendorf für Kolloiduntersuchungen zur Verfügung:

  • Dynamische Lichtstreuung - Photonenkorrelationsspektroskopie (Bild der Anlage, 105 kB)
  • Statische Lichtstreuung
  • Asymmetrische Fluß-Feldflußfraktionierung (Bild der Anlage, 101 kB)
  • Filtration und Ultrafiltration
  • Hochgeschwindigkeitszentrifugation (bis zu 70000 x g)
  • Rasterelektronenmikroskopie
  • Transmissionselektronenmikroskopie

Auf diesen Techniken basierend wurde ein Abtrennungs- und Nachweisschema für Kolloide entwickelt, welches auf sehr unterschiedliche natürliche Proben anwendbar ist.

Veröffentlichungen

  • Zänker, H., Richter, W., Hüttig, G.
    Scavenging and immobilization of trace contaminants by colloids in the waters of abandoned ore mines.
    Coll. Surf. A 2003 (in print)
  • Brendler, V.; Arnold, T.; Nordlinder, S.; Zänker, H.; Bernhard, G.
    Speciation and Sorption for Risk Assessment: Modeling and Database Applications.
    In: H. D. Schulz and G. Teutsch (Eds.), Geochemical processes - Concepts for modeling reactive transport in soil and groundwater (Workshop of Deutsche Forschungsgemeinschaft Priority Program 546 "Geochemical processes with long-term effects in anthropogenically-affected seepage and groundwater", Tübingen, 13.-14.12.2000). VCH-Wiley 2002, p. 79-94
  • Zänker, H.; Richter, W.; Hüttig, G.; Moll, H.
    Colloid-borne Uranium in Mine Waters.
    In: Merkel, B.J.; Planer-Friedrich, B.; Wolkersdorfer, C. (Eds.): Uranium in the Aquatic Environment. Proceedings of the International Conference Uranium Mining and Hydrogeology III (UMH III). Freiberg, Germany, 15-21 September 2002. Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York 2002. p. 399-406
  • Zänker, H.; Moll, H.; Richter, W.; Brendler, V.; Hennig, C.; Reich, T.; Kluge, A.; Hüttig, G.
    The colloid chemistry of acid rock drainage solution from an abandoned Zn-Pb-Ag mine.
    Applied Geochemistry 17 (2002) 633-648
  • Arnold, T.; Zorn, T.; Zänker, H.; Bernhard, G.; Nitsche, H.
    Sorption behavior of U(VI) on phyllite: experiments and modeling.
    J. Contaminant Hydrol. 47 (2001) 219-231
  • Zänker, H.; Richter, W.; Brendler, V.; Nitsche, H.
    Colloid-borne uranium and other heavy metals in the water of a mine drainage gallery.
    Radiochim. Acta 88 (2000) 619-624
  • Moll, H.; Zänker, H.; Richter, W.; Brendler, V.; Reich, T.; Hennig, C.; Roßberg, A.; Funke, H.
    XAS Study of Acid Rock Drainage Samples from an Abandoned Zn-PB-Ag Mine at Freiberg, Germany.
    2nd Euroconference and NEA Workshop on Speciation, Techniques, and Facilities for Radioactive Materials at Synchrotron Light Sources Actinide-XAS-2000, September 10 - 12, 2000, Grenoble, France. Proceedings p. 263-269
  • Mertig, M.; Klemm, D.; Pompe, W.; Zänker, H.; Böttger, M.
    Scanning Force Microscopy of Spin-coated Humic Acid.
    Surf. Interface Anal. 27 (1999) 426-432
  • Zänker, H.; Mertig, M.; Böttger, M.; Hüttig, G.
    The Colloidal States of Humic Acid.
    In: Effects of Humic Substances on the Migration of Radionuclides: Complexation and Transport of Actinides (Editor: G. Buckau), Wissenschaftliche Berichte FZKA 6324, Forschungszentrum Karlsruhe, 1999, p.157-175