Umweltgerechte Prozessführung und Zustandserkennung in Chemieanlagen mit neuronalen Netzen

Laufzeit: 07 / 1998 – 12 / 2002

Förderung: BMBF

 

Ziel

In der Feinchemie und Pharmaindustrie werden sicherheitstechnisch schwierige, stark exotherme Reaktionen meist in Rührkesselreaktoren durchgeführt. Aus Gründen der Anlagensicherheit und der Sicherung einer hohen Ausbeute und Produktqualität ist die frühzeitige Erkennung von unerwünschten Betriebszuständen bei komplexen Batch- und Semibatchprozessen von besonderer Bedeutung. Aufgrund der instationären Prozessführung und der Komplexität der Reaktionsmechanismen sind derartige Zustände einerseits nicht immer direkt aus den Prozesssignalverläufen ersichtlich, andererseits sind Messsysteme zur chemischen Online-Analytik in Produktionsanlagen in der Regel nicht vorhanden, um die wichtigsten Kenngrößen eines chemischen Prozesses, die Konzentrationsverläufe, ständig im Batch-Reaktor verfolgen und bewerten zu können.

Ziel war deshalb die Entwicklung eines Online-Monitoring-Systems (MoSys), das dem Anlagenfahrer bei mehrphasigen, komplexen exothermen Reaktionen wichtige Informationen über den Prozessfortschritt, das voraussichtliche Reaktionsende und die Akkumulation von Zwischenprodukten zur Verfügung stellt, ohne dass eine teure Online-Prozessanalytik installiert werden muss.

Modellprozess

Für die Prototyp-Erprobung an der Produktionsanlage wurde die Hydrierung eines Nitro-Aromaten (R-NO2, substituierter Nitrobenzoesäureester = SNBE) zur entsprechenden Amino-Verbindung (R-NH2, SABE) gewählt. Der Prozess wird im Semibatch-Regime durch die dosierungsgesteuerte Zugabe des Wasserstoffs nach folgender Brutto-Reaktionsgleichung durchgeführt:

Mosys_Brutto_Reaktionsgleichung

Nach dem Haber-Reduktionsschema verläuft die Hydrierung über Nitroso- und Hydroxylamin-Zwischenprodukte. Bei einer starken Akkumulation dieser Zwischenprodukte kann es zu unerwünschten Parallelreaktionen kommen, die das Gefahrenpotenzial bei technischen Störungen erheblich erhöhen sowie die Raum-Zeit-Ausbeute und die Produktqualität herabsetzen. Daher wurde die Überwachung der Akkumulation dieser Zwischenprodukte als Hauptaufgabe des zu entwickelnden Monitoring-Systems definiert.

Methode

Das Monitoring-Sytem basiert auf einem Hybrid-Modell, wobei gekoppelte Online-Wärme- und –Stoffbilanzen das Kernstück des Modells bilden. Darüber hinaus werden adaptive Modellkomponenten in Form einfacher neuronaler Netze zur Berücksichtigung schwer modellierbarer anlagenspezifischer Einflussfaktoren, wie z. B. Wärmeverluste, Wärmebrücken und/ oder systematischer Messfehler, genutzt.

Aufbau des Monitoring-Systems

 

Die Adaption des Systems an die Chemieanlage erfolgt durch Anpassung der adaptiven Modellkomponenten unter Nutzung eines oder mehrerer vollständiger Prozessdatensätze bestimmungsgemäßer Batches im Offline-Betrieb.

Voraussetzung für die Online-Fähigkeit von MoSys war die Kopplung an das Prozessleitsystem (PLS) der Chemieanlage. Dies erfolgte durch Integration von MoSys in ein komplexes Batch-Informations-Management-System (BIMS), welches aus folgenden Komponenten besteht:

  • Monitoring-System MoSys,
  • Datenmanagementmodul,
  • Visualisierung und Bedienung.

Aufbau des Batch-Informations-Management-Systems

 

Somit hat der Anlagenfahrer in der Messwarte die Möglichkeit, Konzentrationsverläufe, Umsätze und Reaktionszeiten des aktuellen Batches oder vorangegangener Chargen zusammen mit weiteren Prozesssignalen im Online- bzw. Offline-Modus an den Terminals des PLS abzurufen.

 

BIMS/MoSys-Umsatzanzeige (Screenshot) BIMS/MoSys-Trendanzeige (Screenshot)

 

Ergebnisse

Die Leistungsfähigkeit von BIMS/MoSys wurde an einer großtechnischen Anlage der Degussa AG getestet. Die Validierung des Online-Monitoring-Systems erfolgte anhand des Vergleiches zwischen den Informationen aus MoSys und den Ergebnissen der begleitenden HPLC-Analytik für die Zielgrößen

  • Konzentration des Eduktes,
  • Konzentration des Zwischenproduktes,
  • Konzentration des Endproduktes und
  • Zeitdauer bis zum Ende der Hauptreaktion.

MoSys-Konzentrationsverläufe im Vergleich mit HPLC-Analysen für zwei Produktions-Batches (Batch 2 mit stark erhöhter Zwischenprodukt-Konzentration)

Zwischenproduktkonzentration und Zustandserkennung – MoSys vs. HPLC

Umsatzverlauf und vorhergesagte Restdauer eines Hydrierbatches

Die Anwendung von BIMS/MoSys bietet dem Prozessexperten die Möglichkeit, betrieblichen Nutzen zu ziehen, z. B. durch:

  • Einsparung chemischer Online-Prozessanalytik,
  • Erweiterung und Archivierung des bestehenden Prozesswissens,
  • bessere Reproduzierbarkeit der Produktqualität bei komplexen Batch-Prozessen,
  • verbesserte Prozessführung durch genauere Ermittlung anlagen- und prozessspezifischer Kenngrößen, wie z. B.  H2-Verbrauch, Energieverbrauch, Produktausbeute, unerwünschte Zwischen- oder Nebenprodukte,
  • Fehler- und Ursachenanalyse anhand archivierter Batches,
  • Rückverfolgbarkeit von Batches bei Problemen (z. B. Qualitätsbeanstandungen),
  • Aufbau eines automatisierten Batch-Reports.

Weitere Informationen

Monitoring-System mit adaptiven Wärmebilanzen für Batch-Reaktoren (Poster)

Bilanzbasiertes Online-Monitoring-System zur Konzentrationsbestimmung (Presentation)

Publikationen

  • Hessel, G.; Kryk, H.; Schmitt, W.; Seiler, T.; Weiß, F.-P.; Hilpert, R.; Roth, M., Modellbasiertes Online-Zustandserkennungssystem für exotherme chemische Prozesse, Technische Überwachung Bd. 44, Nr. 5 (2003) 43-47
  • Hessel, G.; Kryk, H.; Schmitt, W.; Seiler, T.; Hilpert, R.; Roth, M.; Deerberg, G., Monitoring-System mit adaptiven Wärmebilanzen für Batch-Reaktoren, Chemie Ingenieur Technik 74, 12 (2002) S. 1692-1698
  • G. Hessel, J. Heidrich, R. Hilpert, H. Kryk, M. Roth, W. Schmitt, T. Seiler, F. P. Weiss (2002), Umweltgerechte Prozessführung und Zustandserkennung in Chemieanlagen mit neuronalen Netzen – Teilvorhaben 2: Konzipierung und Erprobung des Zustandserkennungsverfahrens, Wissenschaftlich-Technische Berichte Forschungszentrum Rossendorf, Report FZR-355 (2002) S. 1-137

Kooperation

Degussa AG, Fraunhofer UMSICHT

Kontakt / Ansprechpartner

Dr. H. Kryk