Deutschlands verborgene Schätze - Teil 2

Energiewende am Scheideweg

Wohin die Rohstoff-„Reise“ führt, zeigt sich aber immer erst in der Praxis. In ihrer Stellungnahme „Rohstoffe für die Energiewende – Wege zu einer sicheren und nachhaltigen Versorgung“ hatten zuletzt die Experten der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften – acatech sowie der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften danach gefragt, ob die Umsetzung der Energiewende am Ende doch durch Rohstoffmangel gefährdet sein könnte. Rund 100 Fachleute hatten dazu innerhalb des Projektes „Energiesysteme der Zukunft“ in interdisziplinären Arbeitsgruppen Handlungsoptionen für den Weg zu einer umweltverträglichen, sicheren und bezahlbaren Energieversorgung erarbeitet.

Die gute Nachricht dabei: In Deutschland kann eine ausreichende Versorgung mit Metallen, fossilen Energieträgern und Bioenergie sichergestellt werden. Weltweit gebe es genügend natürliche Rohstofflagerstätten. Die Frage sei daher weniger, ob die Versorgung gewährleistet werden könnte, sondern eher, wie dies gelingt. Entscheidend seien zum einen die Preise. Die Rechnung ist dabei recht einfach: Werden Metalle zu teuer, sind Investitionen in klimafreundlichere Technologien weniger wirtschaftlich. Genauso wichtig ist aber auch die Frage, ob und wie ethisch, gesundheitlich und ökologisch bedenkliche Abbaumethoden die gesellschaftliche Akzeptanz der Rohstoffgewinnung gefährden. „Deutschland braucht eine langfristig angelegte Rohstoffpolitik“, fordern die Autoren der Studie, „um offene und transparente Märkte sowie hohe Umwelt- und Sozialstandards zu fördern. Mehr Recycling, Bergbau in Deutschland, Europa und der Tiefsee sowie strategische Investitionen in Rohstoffprojekte können die Versorgungsicherheit verbessern.“

Recyclingindex: Dr. Antoinette van Schaik (MARAS B.V.) und Prof. Markus Reuter (HIF) haben einen Recyclingindex entwickelt, der Verbrauchern zeigen soll, wie recycelbar ein Produkt ist.

Die Kreislaufwirtschaft (Circular Economy) ist ein wichtiges Thema am HIF. Der von Prof. Markus Reuter mitentwickelte Recyclingindex zeigt Verbrauchern, wie recycelbar ein Produkt ist.

Foto: MARAS B.V.

Download

Während für Deutschland bei metallischen Rohstoffen und Zwischenprodukten kein Weg an der Einfuhr vorbeiführt, kann der Industriestandort bei Baurohstoffen wie Sand oder Kies und einigen Industriemineralen, zum Beispiel Kaolin und Gips, nahezu unbegrenzt auf die heimische Produktion bauen. Einschränkungen resultieren hier nur aus konkurrierenden Nutzungsansprüchen wie Natur- oder Trinkwasserschutz.

Geopotentiale nutzbar machen

Die geologische Verfügbarkeit der vorhandenen Rohstoffe errechnen Experten dabei aus den jeweils bereits erschlossenen Reserven, den Ressourcen – also den bekannten, aber mit heutiger Technik bei heutigen Preisen noch nicht förderbaren Rohstoffen – sowie den Geopotentialen. Darunter versteht man noch nicht nachgewiesene Vorkommen, die beispielsweise in bestimmten geologischen Strukturen vermutet werden. „Durch Exploration, Weiterentwicklung der Bergbau-, Förder- und Aufbereitungstechnik und steigende Marktpreise können Geopotentiale und Ressourcen in Reserven umgewandelt werden“, erklärt Jens Gutzmer. Dies führt dazu, dass die Reserven der meisten Rohstoffe mit dem Verbrauch „mitwachsen“. Teilweise sogar überproportional zum Verbrauch. Zum Beispiel Erdöl: Von 1950 bis 2013 hatte sich der Verbrauch verachtfacht, gleichzeitig waren aber die Reserven dank neuer Explorationsmöglichkeiten und neuer Fördertechnologien auf das Zwanzigfache gestiegen.

Ob dies auch für mineralische Rohstoffe zutreffen kann? Wünschenswert wäre es. So zeigt beispielsweise eine aktuelle Risikoanalyse der DERA zum Thema Lithium, dass sich die Nachfrage nach diesem für derzeitige Batterien entscheidenden Alkalimetall bis 2025 verdreifachen könnte. Wenn die Elektromobilität jetzt – maßgeblich angeschoben durch hohe staatlich verordnete Quoten in China – weltweit richtig Fahrt aufnimmt, schätzen die DERA-Experten, dass sich zudem die Gesamtnachfrage nach Kobalt in diesem Zeitraum mehr als verdoppeln werde. Auch der Graphitmarkt würde durch die weltweit boomende Batterieproduktion erheblich in Bewegung kommen. Der Grund: Graphit kommt sowohl als synthetischer als auch natürlicher Kugelgraphit in den Anoden der Lithium-Ionen-Batterien zum Einsatz. Rund 1,1 Kilogramm Graphit werden pro Kilowattstunde Batteriekapazität in modernen Elektroautos gebraucht. Lithium und Kobalt benötigt die Industrie vor allem als Material für die Kathoden.

Circular Economy: Mining im Elektroschrott

Das Beispiel Elektromobilität, aber auch Nachfragespitzen, die sich aus dem Ausbau Erneuerbarer Energien ergeben, rücken speziell in Deutschland neben der rudimentären Primärproduktion durch Bergbau die sogenannten „sekundären Lagerstätten“ ins Blickfeld. In einer zunehmend kreislauforientierten Wirtschaft, der Circular Economy, spielen längst auch die Rohstoffe eine wichtige Rolle, die aus Altgeräten und Infrastruktur wiedergewonnen werden können. Auch damit lässt sich angebotsseitig auf nachfragebedingte Knappheit reagieren. Überhaupt führen Verknappung und Preisanstiege in der Regel zu einer effizienteren und sparsameren Verwendung oder – wenn möglich – zu einer Substitution durch einen anderen, ebenso oder sogar besser geeigneten Rohstoff. „Dieser Regelkreis hat in den vergangenen hundert Jahren dazu geführt, dass sich die realen Preise der meisten Rohstoffe im Durchschnitt kaum erhöht haben“, stellt Gutzmer fest.

Über die Erschließung dieser „sekundären Lagerstätten“ hinaus ist die Forschung gefordert, durch technischen Fortschritt die Voraussetzungen dafür zu schaffen, bislang unentdeckte Vorkommen potentiell nutzbar zu machen. „In Deutschland spielt die Rohstoffexploration derzeit allerdings keine nennenswerte Rolle“, schätzt Richard Gloaguen, HIF-Abteilungsleiter Erkundung ein. „Zum einen weil es den weitverbreiteten Irrglauben gibt, dass es in Deutschland nur wenige Mineralrohstoff-Lagerstätten gäbe, zum anderen weil es an der politischen und gesellschaftlichen Akzeptanz weiterer Bergbauaktivitäten fehlt.“ Kritische Minerale, die „systemrelevant“ für bestimmte Industrien im Energie- und Informationstechnologiebereich seien, kommen überwiegend aus dem Ausland, vor allem aus den rohstoffreichen Schwellenländern China, Brasilien oder Südafrika, aber auch aus Entwicklungsländern wie der Demokratischen Republik Kongo.

Weiterlesen