Pressemitteilung vom 22. Juli 2021

Antimaterie aus der Laserzange

Team entwickelt neue Methode für Erforschung astrophysikalischer Prozesse im Labor

In den Tiefen des Alls gibt es Himmelskörper, auf denen extreme Bedingungen herrschen: Rasend schnell rotierende Neutronensterne erzeugen superstarke Magnetfelder. Und Schwarze Löcher können durch ihre enorme Gravitation dafür sorgen, dass riesige, energiereiche Materiestrahlen in den Weltraum schießen. Ein internationales Physikteam unter Mitwirkung des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf (HZDR) hat nun ein neues Konzept vorgeschlagen, mit dem sich manche dieser Extremprozesse künftig im Labor untersuchen lassen könnten: Ein spezielles Setup aus zwei hochintensiven Laserstrahlen könnte Bedingungen erzeugen, ähnlich wie sie in der Nähe von Neutronensternen herrschen. Dabei wird ein Antimaterie-Jet erzeugt und sehr effizient beschleunigt, wie die Expert*innen im Fachmagazin Communications Physics (DOI: 10.1038/s42005-021-00636-x) berichten.

HIBEF: Zwei gegenläufige Hochintensitäts-Laserpulse ©Copyright: Toma Toncian

Die Aufnahmen zeigen, wie sich die Dichte des Plasmas (hier schwarz-weiß dargestellt) während der Bestrahlung mit zwei gegenläufigen Hochintensitäts-Laserpulsen zeitlich entwickelt. Die bei diesem Prozess entstehende hochenergetische Strahlung ist als Gamma-Photonen-Dichte farbig hervorgehoben. Diese Photonen befinden sich ab dem Zeitpunkt des Aufeinandertreffens beider Laser so dicht beieinander, dass sie zusammenstoßen und dabei Materie-Antimaterie-Paare erzeugen können.

Abbildung: Toma Toncian

Download

Basis des neuen Konzepts ist ein winziger Block aus Kunststoff, durchzogen von mikrometerfeinen Kanälen. Er fungiert als Zielscheibe für zwei Laser. Diese feuern simultan ultrastarke Pulse auf den Block, einer von rechts, der andere von links – der Block wird regelrecht in die Laserzange genommen. „Wenn die Laserpulse in die Probe eindringen, beschleunigt jeder von ihnen eine Wolke aus extrem schnellen Elektronen“, erläutert HZDR-Physiker Toma Toncian. „Diese beiden Elektronenwolken rasen dann mit voller Wucht aufeinander zu und interagieren mit dem ihnen entgegenkommenden Laserpuls.“ Der anschließende Zusammenprall ist so heftig, dass dabei extrem viele Gamma-Quanten entstehen – Lichtteilchen mit einer Energie, die sogar noch höher als die von Röntgenstrahlung ist.

Das Gewimmel an Gammaquanten ist derart groß, dass die Lichtteilchen unweigerlich miteinander kollidieren. Dabei passiert etwas Verrücktes: Laut Einsteins berühmter Formel E=mc2 kann sich die Lichtenergie in Materie verwandeln. In diesem Fall sollten vor allem Elektron-Positron-Paare entstehen. Positronen sind die Antiteilchen von Elektronen. Das Besondere: „Dieser Prozess wird von sehr starken Magnetfeldern begleitet“, beschreibt Projektleiter Alexey Arefiev, Physiker an der University of California in San Diego. „Die Magnetfelder können die Positronen zu einem Strahl bündeln und stark beschleunigen.“ In Zahlen: Auf einer Strecke von nur 50 Mikrometern sollten die Teilchen eine Energie von einem Gigaelektronenvolt (GeV) erreichen – eine Größe, für die es für gewöhnlich einen kompletten Teilchenbeschleuniger braucht.

Erfolgreiche Computersimulation

Um zu prüfen, ob die ungewöhnliche Idee funktionieren könnte, testete das Team sie in einer aufwändigen Computersimulation. Das Ergebnis ist ermutigend, im Prinzip sollte das Konzept umsetzbar sein. „Mich hat überrascht, dass die Positronen, die am Ende entstehen, in der Simulation zu einem hochenergetischen und gebündelten Strahl geformt wurden“, freut sich Arefiev. Und: Die neue Methode sollte deutlich effizienter sein als die bisherigen Ideen, bei denen nur ein Laserpuls auf eine Zielscheibe gefeuert wird: Gemäß der Simulation sollte der „Laser-Doppelschlag“ bis zu 100.000 Mal mehr Positronen erzeugen können als das Konzept der Einfachbehandlung.

„Außerdem müssten die Laser bei uns nicht ganz so stark sein wie bei anderen Konzepten“, erläutert Toncian. „Dadurch ließe sich die Idee vermutlich leichter in die Praxis umsetzen.“ Allerdings gibt es nur wenige Plätze auf der Welt, an denen sich die Methode umsetzen ließe. Geeignet wären vor allem ELI-NP (Extreme Light Infrastructure Nuclear Physics), eine noch junge Laseranlage in Rumänien, weitgehend finanziert von der Europäischen Union. Sie verfügt über zwei ultrastarke Laser, die simultan auf ein Ziel feuern können – die Grundvoraussetzung für das neue Verfahren.

Erste Tests in Hamburg

Wesentliche Vorversuche aber könnten zuvor in Hamburg stattfinden: Dort steht mit dem European XFEL der leistungsstärkste Röntgenlaser der Welt. Das HZDR führt hier ein Nutzerkonsortium namens HIBEF an, das seit einiger Zeit Materie in extremen Zuständen ins Visier nimmt. „Bei HIBEF entwickeln Fachleute des HZDR gemeinsam mit dem Helmholtz-Institut Jena eine Plattform, mit der sich experimentell überprüfen lässt, ob sich die Magnetfelder tatsächlich so ausbilden wie in unseren Simulationen vorausgesagt“, erklärt Toma Toncian. „Das sollte sich mit den starken Röntgenblitzen des European XFEL gut analysieren lassen.“

Für die Astrophysik wie auch für die Kernphysik könnte das neue Verfahren überaus brauchbar sein. Denn auch bei manchen Extremprozessen im All dürften Unmengen von Gamma-Quanten entstehen, die sich dann flugs wieder zu hochenergetischen Teilchen materialisieren. „Solche Prozesse dürften sich unter anderem in der Magnetosphäre von Pulsaren abspielen, also von schnell rotierenden Neutronensternen“, sagt Alexey Arefiev. „Mit unserem neuen Konzept ließen sich solche Phänomene zumindest ansatzweise im Labor simulieren, wodurch wir sie dann besser verstehen würden.“


Publikation:

Y. He, T. Blackburn, T. Toncian, A. Arefiev: Dominance of γ-γ electron-positron pair creation in a plasma driven by high-intensity lasers, in Communications Physics, 2021 (DOI: 10.1038/s42005-021-00636-x)


Weitere Informationen:

Dr. Toma Toncian
Institut für Strahlenphysik am HZDR
Tel.: +49 40 8998 6869 | E-Mail: t.toncian@hzdr.de

Medienkontakt:

Simon Schmitt | Leitung und Pressesprecher
Abteilung Kommunikation und Medien
Tel.: +49 351 260 3400 | E-Mail: s.schmitt@hzdr.de