Pressemitteilung vom 27. Mai 2024
Sonnenzyklen neu gedacht
Neues physikalisches Modell stärkt Planetenhypothese
Forscher vom Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR) und der Universität Lettlands schlagen erstmals eine umfassende physikalische Erklärung für die verschiedenen Aktivitätszyklen der Sonne vor. Diese identifiziert sogenannte Rossby-Wellen, wirbelförmige Strömungen auf der Sonne, als Vermittler zwischen den Gezeiteneinflüssen von Venus, Erde und Jupiter sowie der magnetischen Aktivität der Sonne. Damit präsentieren die Forscher ein in sich konsistentes Modell für unterschiedlich lange Sonnenzyklen – und ein weiteres starkes Argument für die bislang umstrittene Planetenhypothese. Die Ergebnisse sind jetzt in der Fachzeitschrift Solar Physics (DOI: 10.1007/s11207-024-02295-x) erschienen.
Obwohl die Sonne aufgrund ihrer Nähe zu uns der am besten erforschte Stern ist, sind viele Fragen zu ihrer Physik noch nicht vollständig verstanden. Dazu gehören auch die rhythmischen Schwankungen der Sonnenaktivität. Die bekannteste: Im Schnitt alle elf Jahre erreicht die Sonne ein Strahlungsmaximum – Fachleute sprechen vom Schwabe-Zyklus. Dieser Aktivitätszyklus entsteht, weil sich das Magnetfeld der Sonne in diesem Zeitraum verändert und schließlich umpolt. An sich nichts Ungewöhnliches für einen Stern – wäre der Schwabe-Zyklus nicht auffallend stabil.
Den Schwabe-Zyklus überlagern weitere, weniger offensichtliche Aktivitätsschwankungen im Bereich von wenigen hundert Tagen bis hin zu mehreren hundert Jahren, jeweils benannt nach ihren Entdeckern. Für diese Zyklen gab es zwar schon verschiedene Erklärungsversuche und mathematische Berechnungen – allerdings noch kein übergreifendes physikalisches Modell.
Planeten als Taktgeber
Dr. Frank Stefani vom Institut für Fluiddynamik am HZDR vertritt schon seit einigen Jahren die „Planetenhypothese“. Denn klar ist: Die Planeten üben mit ihrer Schwerkraft einen Gezeiteneffekt auf die Sonne aus, ähnlich wie der Mond auf die Erde. Dieser Effekt ist alle 11,07 Jahre am stärksten: immer dann, wenn die Ausrichtung der drei Planeten Venus, Erde und Jupiter auf einer Linie mit der Sonne besonders markant ist, vergleichbar mit der Springflut auf der Erde bei Neu- oder Vollmond. Dies stimmt auffallend mit dem Schwabe-Zyklus überein.
Das Magnetfeld der Sonne entsteht durch komplexe Bewegungen des elektrisch leitfähigen Plasmas im Inneren der Sonne. „Man kann sich das wie einen gigantischen Dynamo vorstellen. Dieser Sonnendynamo erzeugt zwar schon von sich aus einen ungefähr elfjährigen Aktivitätszyklus – wir denken aber, der Einfluss der Planeten greift dann in diesen vor sich hin arbeitenden Dynamo ein, gibt ihm immer wieder einen kleinen Schubs, und zwingt der Sonne so den außergewöhnlich stabilen 11,07-Jahres-Rhythmus auf“, erklärt Stefani.
In den verfügbaren Beobachtungsdaten fanden er und seine Kollegen bereits vor einigen Jahren starke Indizien für einen solcherart getakteten Prozess und konnten rein rechnerisch auch verschiedene Sonnenzyklen mit der Bewegung der Planeten korrelieren. Hinreichend physikalisch erklären ließ sich der Zusammenhang jedoch zunächst nicht.
Rossby-Wellen auf der Sonne wirken als Vermittler
„Jetzt haben wir den zugrundeliegenden physikalischen Mechanismus gefunden. Wir wissen, wie viel Energie nötig ist, um den Dynamo zu synchronisieren, und wir wissen, dass diese Energie über sogenannte Rossby-Wellen auf die Sonne übertragen werden kann. Das Tolle daran ist: Damit können wir nicht nur den Schwabe-Zyklus und längere Sonnenzyklen erklären, sondern auch die kürzeren Rieger-Zyklen, die wir vorher noch gar nicht betrachtet hatten“, sagt Stefani.
Rossby-Wellen sind wirbelförmige Strömungen auf der Sonne, ähnlich den großräumigen Wellenbewegungen in der Erdatmosphäre, die Hoch- und Tiefdrucksysteme steuern. Die Forscher berechneten: Die Gezeitenkräfte während der Springtiden von je zwei der drei Planeten Venus, Erde und Jupiter haben genau die passenden Eigenschaften, um Rossby-Wellen auszulösen. Eine Erkenntnis mit vielen Folgen: Denn erstens haben diese Rossby-Wellen dann ausreichend große Geschwindigkeiten, um dem Sonnendynamo den nötigen Anstoß zu geben. Zweitens geschieht dies alle 118, 193 beziehungsweise 299 Tage, passend zu den beobachteten Rieger-Zyklen der Sonne. Und drittens lassen sich daraus alle weiteren Sonnenzyklen errechnen.
Alle Zyklen durch ein Modell erklärt
Ab hier übernimmt die Mathematik. Aus einer Überlagerung der drei kurzen Rieger-Zyklen entsteht rechnerisch automatisch der prominente 11,07-jährige Schwabe-Zyklus. Und selbst Langzeit-Schwankungen der Sonne werden durch das Modell vorhergesagt. Denn die Bewegung der Sonne um das Schwerezentrum des Sonnensystems verursacht auf der Basis des Schwabe-Zyklus eine sogenannte Schwebungsperiode von 193 Jahren. Dies entspricht der Größenordnung eines weiteren beobachteten Zyklus, des Suess-de-Vries-Zyklus.
Dabei fanden die Forscher eine eindrucksvolle Übereinstimmung der berechneten 193-Jahres-Periode mit periodischen Schwankungen in Klimadaten. Ein weiteres, starkes Argument für die Planetenhypothese, denn: „Der scharfe Suess-de Vries Peak bei 193 Jahren lässt sich kaum ohne Phasenstabilität des Schwabe-Zyklus erklären, wie sie nur bei einem getakteten Prozess vorliegt“, schätzt Stefani ein.
Ist damit die Frage, ob die Sonne dem Takt der Planeten folgt, abschließend entschieden? Stefani:
„Hundertprozentige Sicherheit wird es wohl erst mit weiteren Daten geben. Aber die Argumente für einen durch die Planeten getakteten Prozess sind inzwischen sehr stark.“
Publikation:
F. Stefani, G. M. Horstmann, M. Klevs, G. Mamatsashvili, T. Weier: Rieger, Schwabe, Suess-de Vries: The Sunny Beats of Resonance, in Solar Physics, 2024 (DOI: 10.1007/s11207-024-02295-x)
Weitere Informationen:
Dr. Frank Stefani
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