Anwendungsbeispiel: Das Servatius Reliquienkästchen aus dem Quedlinburger Domschatz

Foto: Servatius Reliquienkästchen ©Copyright: Elmar Egner

Servatius Reliquienkästchen

Bild: Elmar Egner

Im Quedlinburger Domschatz befindet sich der Servatius-Schrein, ein Kästchen aus Elfenbein, in dem die Reliquien von 19 christlichen Heiligen aufbewahrt wurden. Die teilvergoldeten Elfenbeinreliefs stellen Jesus und 11 der Apostel mit ihren Attributen umgeben von Säulen dar, und werden von einer ornamentalen Goldfassung mit Edelsteineinlagen umrandet. Anhand stilistischer Betrachtungen wurde festgestellt, dass das Kästchen in einem Zeitraum von mehreren Jahrhunderten ausgearbeitet und modifiziert wurde: Ein großer Amethyst wurde in der frühen römischen Kaiserzeit zu einem Dionysoskopf geschnitzt, die Elfenbeinreliefs stammen aus karolingischer Zeit, und die Goldfassung wurde im 12. Jahrhundert hergestellt. Mittels der ionenstrahl-basierten Analysemethode PIXE (protonen-induzierte Röntgenemission) konnten zerstörungsfrei weitere aufschlussreiche Informationen gewonnen werden.

So zeigte sich, dass die funktionell verschiedenen Goldkomponenten – also die Fassung der Elfenbeinplatten, die Vergoldungen zur Akzentuierung von z. B. Heiligenscheinen und die Goldeinlagen im Elfenbein sowie die Verzierung der Säulenkapitelle – auch verschiedene Legierungszusammensetzungen aufweisen. Dabei war hatte die Fassung den geringsten Anteil an Beimengungen von Silber und Kupfer, während die Akzentvergoldungen und die Goldeinlagen mehr Silber und die Kapitelle mehr Kupfer enthielten. Die Zusammensetzung der Akzentvergoldungen stimmt mit der einer Goldeinlage im Elfenbein überein; andere Goldeinlagen wurden allerdings ausgebrochen. Es ist daher möglich, dass Vergoldungen und Einlagen gleichzeitig im Zuge der ursprünglichen Ausarbeitung der Elfenbeinplatten hergestellt wurden, oder aber dass einige Einlagen zu Akzentvergoldungen umgearbeitet wurden. Aufgrund ihrer abweichenden Zusammensetzung kann angenommen werden, dass die Fassung und die Kapitellverzierungen zu zwei späteren Zeitpunkten hergestellt wurden.

Bei lichtmikroskopischen Untersuchungen wurden außerdem Anhaltspunkte dafür gefunden, dass ursprünglich vorhandene Goldeinlagen im Elfenbein später entfernt wurden. Durch PIXE konnten zum einen das Vorhandensein von geringen Resten an Gold sowie Materialspuren von Werkzeugen zur mechanischen Entfernung der Goldeinlagen nachgewiesen werden. Die Einlagen bestanden aus sehr reinem Gold, das die nötige Duktilität für diesen Verarbeitungsprozess besitzt. Außerdem konnte bestimmt werden, an welchen Stellen genau früher solche Goldeinlagen angebracht waren

Die Resultate der PIXE-Untersuchung der Goldzusammensetzungen stützen somit die Schlussfolgerungen aus stilistischen Betrachtungen zur zeitlichen Abfolge der Überarbeitungen des Kästchens. Die Lokalisierung von geringsten Goldresten mittels PIXE ermöglicht außerdem die zeichnerische Rekonstruktion des ursprünglichen Zustandes des Reliquienkästchens.


  • C.Wendt and C. Neelmeijer, Das Servatius-Reliquienkästchen aus dem Quedlinburger Schatz.
    Restauro 2/1993