Anwendungsbeispiel: Die Geschichte einer Schnupftabakdose
Schnupftabakdose aus Meißener Porzellan
Bild: Christian Neelmeijer
Die Authentizität eines Kunstwerks zu bestätigen oder zu widerlegen erfordert große Expertise in der Bewertung des künstlerischen Stils und der Herstellungstechnik. In Bezug auf letztere können zerstörungsfreie Methoden der Materialanalyse wie die Ionenstrahlanalytik hilfreiche Informationen zugänglich machen.
Bei einer Schnupftabakdose aus dem 18. Jahrhundert kamen Zweifel auf, ob sie tatsächlich aus der Meißener Porzellanmanufaktur stammte, da Boden und Deckel der Dose farblich nicht exakt übereinstimmten und das Dekor sich im Pinselstrich unterschied. Eine Kombination der drei Ionenstrahlanalytikmethoden PIXE (protonen-induzierte Röntgenemission), PIGE (protonen-induzierte Gamma-Emission) und RBS (Rutherford Rückstreuung) lieferte die Materialzusammensetzungen der Glasuren und einer charakteristischen grünen Farbe, die für die Verzierung der Dose verwendet worden waren. Die Untersuchung zeigte deutliche Unterschiede zwischen Boden und Deckel der Dose: Die grüne Farbe auf dem Bodenteil der Dose enthielt eine beträchtliche Menge eines eisenhaltigen Pigments, das in der grünen Farbe aus dem Deckel fehlt. Die Glasur des Bodenteils war zudem aus Bleibasis hergestellt, während die Glasur des Deckels bleifrei war. Die Zusammensetzung der Deckelglasur konnte als typische Rezeptur der Meißener Manufaktur ab 1730 identifiziert werden. Dies gelang durch den Abgleich mit verifizierten Porzellanskulpturen aus der Meißener Manufaktur aus diesem Zeitraum. Angesichts dieser Unterschiede zwischen Dosenboden und Deckel wird deutlich, dass die Schnupftabakdose als Ganzes nicht im Originalzustand erhalten geblieben ist. Der Deckel wurde als typisches Produkt der Meißener Manufaktur nach 1730 identifiziert. Da die Meißener Manufaktur vor 1730 auch bleihaltige Glasuren verwendet hatte, ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass auch der Dosenboden dort hergestellt wurde. Ein plausibles Szenario könnte sein: Die Dose wurde vor 1730 gefertigt. Später wurde der Deckel beschädigt und in der Meißener Restaurierungswerkstatt durch einen neuen ersetzt. Mittlerweile wurde dort die neue Glasurtechnik ohne Blei eingesetzt und der Deckel wurde von einem anderen Porzellanmaler verziert.
Der Fall der Meißener Schnupftabakdose zeigt, wie zerstörungsfreie Ionenstrahlanalytik bei der Authentizitätsprüfung und der Rekonstruktion der Geschichte eines einzigartigen Objekts helfen kann.
- C. Neelmeijer and R. Roscher, PIXE-RBS survey of a Meissen porcelain snuff box: first version or not?
X-ray Spectrometry 41 (2012) 93
https://doi.org/10.1002/xrs.2371