Bestrahlungen an ELBE im Bereich von über 20 MeV

Vorbemerkung

Die 2. Beschleunigerstruktur an der Strahlungsquelle ELBE liefert Elektronenstrahlen für Bestrahlungen und Messungen bei Energien im Bereich von über 20 bis 40 MeV. Die höhere Energie bietet den Vorteil größerer Eindringtiefe und geringerer Strahldivergenz. Dieser Vorteil wirkt sich auch bei der Nutzung von Bremsstrahlung aus, die sowohl bei ihrer Erzeugung im Radiator als auch in der Probe auf einen kleineren Winkel beschränkt bleibt als unterhalb 20 MeV.

Zwei Konsequenzen der Wechselwirkung in Materie bei höherer Energie sind zu beachten: 1. Der elektromagnetische Energieübertrag erfolgt im Wesentlichen über die Elektron-Positron-Paarbildung und Bremsstrahlung. 2. Die nukleare Wechselwirkung erreicht vollständig die Dipolriesenresonanz mit ihren – bei Energien bis 35 MeV -- sehr großen Wirkungsquerschnitten für die Emission von Nukleonen über den Kern-Photoeffekt. Letzterer Aspekt hat positive Konsequenzen für die Möglichkeit der nuklearen Transmutation von radioaktivem Abfall z.B. aus Fusions- oder Spaltkraftwerken, da neutronenreiche Radionuklide photonuklear mit entsprechend großer Wahrscheinlichkeit in stabile Nuklide umgewandelt werden können.

Der neue Messplatz im Cave 111b soll für drei Experimenttypen benutzt werden können, die im folgenden kurz beschrieben werden. Da alle drei außerhalb des Beschleuniger-Hochvakuums und damit hinter einem Trennfenster den ELBE-Strahl nutzen, ist es sinnvoll, sie an einem Ort zusammen zu fassen.

Nutzung des Messplatzes

1. Bestrahlung von Proben mit energetischen Elektronen oder Bremsstrahl-Photonen.

Die Proben sollen in – eventuell speziell ausgewählter – Atmosphäre oder im Vakuum bestrahlt werden, in jedem Fall aber in einem vom Beschleunigervakuum durch ein Be-Fenster getrennten Probenraum. An dem neuen Messplatz kann durch eine magnetische Ablenkung der Elektronen in einen gut abgeschirmten Hochstrom-Strahlfänger garantiert werden, dass nur die in dem o.g. Be-Fenster oder in einem direkt dahinter angebrachten Radiator erzeugte intensive Bremsstrahlung die Probe trifft, bevor sie in einem Strahlungssumpf vernichtet wird. Wird dagegen die Probe in den abgelenkten e-Strahl gebracht und direkt von den fokussierten Elektronen getroffen, ist sie einer so hohen Strahlungsintensität ausgesetzt, wie sie anderswo nicht leicht erreicht wird.

Die hohe Brillianz von ELBE bedingt sowohl im direkten e-Strahl als auch im Bremsstrahl eine hohe absorbierte Dosis. Strahlungsbedingte Materialveränderungen an ELBE sind gut zu induzieren: die geringe Emittanz erlaubt dabei eine transversale Konzentration auf eine kleine Eintrittsfläche und die gute Energiedefinition erlaubt auch die Untersuchung von Schwelleneffekten.

2. Test von Detektoren für verschiedene Experimente der Kernphysik und Strahlenforschung.

Detektortests sollen vor allem die hervorragende Zeitstruktur des ELBE-Strahls nutzen, die bei einer Mikropulslänge von weniger als 10 ps Pulsabstände von 77 ns und mehr bietet; Testmöglichkeiten mit so kurzen Pulsen sind in Europa einmalig. Folglich sind die zu testenden Detektoren vorrangig solche, deren Zeitauflösung für Flugzeitmessungen optimiert werden soll.

Schnelle Flugzeitmessungen spielen auch eine große Rolle bei den Experimenten zur Untersuchung komprimierter hadronischer Materie, wie sie unter ISP-Beteiligung am Darmstädter Schwerionensynchrotron SIS u.a. mit dem HADES-Detektor durchgeführt werden – und an der neuen Anlage FAIR der GSI auch weiterhin eine wichtige Rolle spielen werden. Diese hadronenphysikalischen wie auch kernphysikalischen Projekte des ISP am SIS werden sowohl aus Mitteln des BMBF als auch im 6. Rahmenprogramm der EU gefördert. Auch für die ebenfalls EU-geförderten PET-Arbeiten des ISP ist eine möglichst gute Detektor-Zeitauflösung von Bedeutung.

Die Detektoren und die möglichst direkt angekoppelte Elektronik sind bei solchen Test vom Beschleuniger-UHV durch mindestens ein Fenster getrennt. Hier bestehen ähnliche Anforderungen wie unter 1., wobei allerdings wesentlich kleinere Bestrahlungsraten gewünscht werden. Der Einsatz eines Ablenkmagneten (Separator-/Dipol-Magnet) bietet hier wichtige Vorteile, da er erlaubt, den für einen stabilen Betrieb von ELBE minimal notwendigen Strahl vom zu testenden Detektor wegzulenken und den Test mit einem Sekundärstrahl durchzuführen. Hier ist an gestreute Elektronen, an Positronen oder an Bremsstrahl-Photonen zu denken, die dicht vor dem Detektionsvolumen in Elektron-Positron-Paare oder Compton-Rückstoß-Elektronen konvertieren, die dann detektiert werden.

3. Messung von für die nukleare Transmutation von radioaktivem Abfall wichtigen Wirkungsquerschnitten.

Die Energie der zweiten ELBE-Stufe bietet die Möglichkeit der Untersuchung der photoinduzierten Teilchendissoziation im Bereich bis oberhalb der Dipolriesenresonanz. Während die Bestimmung von für die Transmutation von radioaktivem Abfall durch schnelle Neutronen wichtigen Reaktionsraten an mehreren Beschleunigern auf dem Programm steht (auch an der ELBE n-ToF-Anlage), verlässt man sich bei den photoinduzierten Prozessen auf ca. 30 Jahre alte Untersuchungen am Lawrence Livermore Laboratory in Kalifornien und am Centre d’Etudes Nucleaires de Saclay bei Paris. Diese Messungen wurden mit der Methode der Positron-Annihilation im Fluge gemacht, die nur eine Energieauflösung von 0.25 bis 0.35 MeV erlaubt; auch wurden für fast alle Nuklide nur der Neutronen-Ausgangskanal untersucht und für viele Isotope liegen keine experimentellen Raten vor. Andere Elektronenbeschleuniger der Kernphysik erlauben derzeit nicht, Messungen mit markierten (tagged) Photonen durchzuführen. Es ist daher lohnend, an ELBE markierte Photonen zu erzeugen und zu nutzen.

An dem vorgeschlagenen Messplatz muss dabei der Ablenkmagnet so geformt werden, dass er den impulsdispersiven Nachweis der an dem schon beschriebenen Be-Fenster Bremsstrahlung erzeugenden Elektronen gestattet. Wenn der Detektor hierfür (z.B. eine RPC) eine genügend gute Zeitauflösung erlaubt, kann die ELBE-Zeitstruktur hervorragend genutzt werden, um die korrekte Zuordnung der Markierungssignale zu dem Signal aus den Detektoren für die dissoziierten Nukleonen sicherzustellen.

Da die Anlage nicht nur für die Untersuchung des Kern-Photoeffekts, sondern mit (schon im ISP vorhandenen) schnellen Photonendetektoren auch für die Untersuchung der Photonenstreuung im Bereich der Riesenresonanz eingesetzt werden kann, wird sie mittel- und auch langfristig ein häufig genutztes Instrument an ELBE werden. Ein besonders wichtiger Aspekt seiner Nutzung ergibt sich aber vor allem durch die Relevanz der dort zu gewinnenden Daten für die Transmutation von radioaktivem Abfall.

Für den neuen Messplatz an ELBE wird ein Aufbau am Geradeausstrahl im Cave 111b vorgeschlagen.

Fig. 1. Aufsicht des geplanten Messplatzes in Cave 111b.