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Simon Schmitt

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Online-Jahresbericht 2013

Wissenschaftliche Höhepunkte


Radiotracer spürt Tumoren mit Hilfe des Recyclingsystems der Zellen auf

Abfall wird bekanntermaßen in Recyclinghöfen verarbeitet. Auch in den menschlichen Zellen gibt es spezielle Systeme – sogenannte Lysosomen –, in denen alte Proteine in ihre Bestandteile zerlegt und verwertet werden. Eine wichtige Rolle spielen bei diesem Prozess Cathepsine – Enzyme, die Eiweißstoffe aufspalten, bevor die nächsten Recyclingschritte folgen. Eine Überproduktion dieser Enzyme deutet aber einen Tumor an. Cathepsine könnten somit als Biomarker dienen, um erkrankte Zellen aufzuspüren. Forscher des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf konnten erstmalig einen Radiotracer entwickeln, der an spezielle Arten des Enzyms bindet.

Besonders bei der Ausbreitung des Tumors in das umliegende Gewebe werden bestimmte Typen der Cathepsine verstärkt ausgeschüttet. Ebenso können sie an der Entwicklung von Resistenz gegenüber Strahlen- und Chemotherapie beteiligt sein. Die erhöhten Aktivitäten dieser Enzyme könnten allerdings gleichzeitig einen Weg zu den erkrankten Zellen weisen. Forscher um Dr. Reik Löser vom Institut für Radiopharmazeutische Krebsforschung am HZDR haben aufbauend auf Verbindungen, die als Azadipeptidnitrile bezeichnet werden, eine molekulare Sonde entwickelt, die sich sehr gut an die krebsrelevanten Cathepsine bindet.

Diese neue Substanz kombinierten die Rossendorfer Wissenschaftler mit dem Radionuklid Fluor-18. Über die Positronen-Emissions-Tomographie werden der Krebs und seine weitere Ausbreitung auf diese Weise auffindbar. Bei Experimenten mit tumortragenden Mäusen konnte das Team um Löser nachweisen, dass der neuentwickelte Radiotracer in die erkrankten Zellen aufgenommen wird. Die präzise Diagnose und Charakterisierung von Tumoren, die für den erfolgreichen Kampf gegen die Krankheit unerlässlich sind, konnten somit um einen weiteren wichtigen Schritt vorangebracht werden.

  • Publikation: R. Löser u.a., „Synthesis and Radiopharmacological Characterisation of a Fluorine-18-Labelled Azadipeptide Nitrile as a Potential PET Tracer for in vivo Imaging of Cysteine Cathepsins”, ChemMedChem, 8(8), 1330–1344 (2013, DOI-Link: 10.1002/cmdc.201300135)
  • Kontakt: Dr. Reik Löser, Institut für Radiopharmazeutische Krebsforschung

Umgekehrte Pyramiden durch Ionenstrahlerosion von Halbleiter-Oberflächen

Werden Oberflächen von Festkörpern bei Raumtemperatur mit niederenergetischen Ionen beschossen, bilden sich üblicherweise selbstorganisierende Strukturen in einer Größenskala von unter 100 Nanometern. So entstehen Wellen- oder auch punktförmige Muster, deren Ausrichtung und Symmetrie allein vom Einfallswinkel und der Richtung des Ionenstrahls abhängen.

Forscher vom Ionenstrahlzentrum des HZDR haben einen neue selbstorganisierte Musterbildung beobachtet. Sie beschossen den Halbleiter Germanium mit Argon-Ionen bei Temperaturen oberhalb der Rekristallisationstemperatur, also bei über 260 Grad Celsius. Die Wissenschaftler fanden heraus, dass nun Muster mit gänzlich neuen Symmetrien in der kristallinen Oberfläche entstehen: In gleichmäßigen Abständen bilden sich umgekehrte Pyramiden mit rechteckiger, dreieckiger oder hexagonaler Grundebene.

Die kontinuierliche Ionenerosion, also das Herauslösen von Atomen durch den Ionenbeschuss, erzeugt viele Oberflächenvakanzen, welche in ihrer Diffusion eingeschränkt sind. So entsteht eine neue Oberflächeninstabilität, die inverse Pyramiden hervorbringt.

Analog zur Bildung von Pyramiden im epitaktischen Wachstum wird diese Musterbildung „umgekehrte Epitaxie“ genannt. Eine solche Oberfläche mit Nichtgleichgewichtsfacetten könnte zum Beispiel für die Effizienzsteigerung von Solarzellen genutzt werden.

  • Publikation: X. Ou et al., „Reverse Epitaxy of Ge: Ordered and Faceted Surface Patterns”, Physical Review Letters, 111 (2013, DOI: 10.1103/PhysRevLett.111.016101)
  • Kontakt: Dr. Xin Ou, Institut für Ionenstrahlphysik und Materialforschung

Neuartige Hochfeld-Phase bei Spinell-Verbindungen in hohen Magnetfeldern

Messkurve Spinell-Verbindung

Multiferroische Materialien, in denen magnetische und ferromagnetische Phasen koexistieren, sind sowohl für die Grundlagenforschung als auch für anwendungsorientierte Forschung von hohem Interesse. So könnten Multiferroika beispielsweise für die sogenannte „Spintronik“ genutzt werden, da sich deren dielektrische und magnetische Polarisation durch externe Felder beeinflussen lässt. Dies könnte Anwendung in neuartigen Speichertechnologien finden.

Diese Materialen sind zugleich aber auch eine große Herausforderung für die moderne Festkörperphysik. Spinell-Verbindungen – chemische Verbindungen des Typs AB2X4 – nehmen zum Beispiel innerhalb der multiferroischen Materialien eine Sonderstellung ein: Sie besitzen eine signifikante Spin-Gitter-Kopplung und magnetische Frustration. Trotz unterdrückter Elektron-Bahndrehimpulsbeiträge zeigen solche Materialien dann strukturelle Instabilitäten. Diese gehen mit der Ordnung ihrer Spinfreiheitsgrade einher. Daraus ergeben sich ungewöhnliche Materialeigenschaften wie Riesenmagnetostriktion, negative thermische Ausdehnung oder Spin-Jahn-Teller-Instabilitäten.

2013 entdeckten HZDR-Forscher am Hochfeld-Magnetlabor Dresden (HLD) eine neuartige und faszinierende Eigenschaft bei einer solchen Spinell-Verbindung: Mit Hilfe von Ultraschall- und Magnetisierungsmessungen wurde bei CoCr2O4-Einkristallen eine neue Hochfeldphase oberhalb von 42 Tesla ausfindig gemacht. Diese vermutlich hochsymmetrische kubische Phase bleibt über einen riesigen Bereich (bis hinunter zu 0 Tesla) metastabil.

Durch das Magnetfeld tritt zwar an der Phasengrenze eine signifikante Änderung der Schallgeschwindigkeit ein, eine entsprechende Änderung der Magnetisierung (siehe Messkurven in Abb. rechts) kann hingegen nicht beobachtet werden. Zudem zeichnet sich diese Hochfeldphase durch eine deutlich erhöhte Gittersteifigkeit aus (siehe Phasendiagramm in Abb. links). Es wird vermutet, dass transversale Magnetisierungskomponenten in dieser Phase unterdrückt werden.


Einfache Produktionsmethode für begehrte Nanokristalle

Das chemische Element Cer gehört zur Gruppe der Seltenerd-Metalle. Sein Oxid findet in nanokristalliner Form einen breiten industriellen Einsatz, beispielsweise für Elektroden in Brennstoffzellen oder in Katalysatoren von Kraftfahrzeugen, wo es giftiges Kohlenstoffmonoxid in Kohlenwasserstoffe umwandelt. Nicht zuletzt dient Ceroxid als Schleif- oder Poliermittel in der Halbleiterindustrie. Dr. Christoph Hennig vom Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf und Dr. Atsushi Ikeda-Ohno von der australischen University of New South Wales konnten erstmals den Wachstumsmechanismus beobachten.

Bisher war es unmöglich, nanokristallinem Cerdioxid beim Wachsen zuzusehen, weil analytische Techniken fehlten. So mussten zum Beispiel bei Elektronenmikroskopen oder Röntgendiffraktometern die Nanokristalle von der Lösung abgetrennt werden. Zwar ermöglicht dies die Analyse der Partikel, ihre Entstehung bleibt aber verborgen, da sie in der Lösung abläuft.

Die Wissenschaftler kombinierten deshalb verschiedene spektroskopische Techniken wie die dynamische Lichtstreuung, die Röntgenabsorptions-Spektroskopie und die Hochenergie-Röntgenstreuung. Auf diese Weise konnten sie erstmals die Bildung von nanokristallinem Cerdioxid in einer wässrigen Lösung live beobachten.

Die Einblicke erlauben es, den Produktionsprozess des Nanomaterials grundlegend zu vereinfachen. Das Ergebnis: Wird der pH-Wert für vierwertiges Cer in wässriger Lösung richtig eingestellt, bilden sich gleichmäßige Nanopartikel von Cerdioxid. Eine physikalische oder chemische Nachbehandlung wie etwa der Zusatz von Beschleunigersubstanzen kann entfallen.

Die Forscher fanden auch heraus, dass die auf derart einfache Weise produzierten Cerdioxid-Kristalle eine Größe von zwei bis drei Nanometern besitzen, und zwar weitgehend unabhängig von den konkreten Umgebungsbedingungen. Damit liegen die Nanopartikel genau in dem für industrielle Produkte interessanten Bereich.

Als Schlüsselentdeckung werten sie zudem, dass vierwertiges Cer nur dann Cerdioxid-Kristalle im Nanometerbereich ausbildet, wenn es zuvor in der Lösung entweder als Dimer oder als Trimer vorliegt.

  • Publikation: A. Ikeda-Ohno u.a., „Hydrolysis of tetravalent cerium for a simple route to nanocrystalline cerium dioxide: an in-situ spectroscopic study of nanocrystal evolution”, Chemistry – A European Journal, 19(23), 7348-7360 (2013, DOI-Link: 10.1002/chem.201204101)
  • Kontakt: Dr. Christoph Hennig, Institut für Ressourcenökologie

Neue Einblicke in partikelbeladene Blasensäulen

Mit Hilfe einer ultraschnellen Röntgentomographie, die am Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf entwickelt wurde, konnten Forscher um Dr. Markus Schubert vom Institut für Fluiddynamik den Einfluss von Katalysatorpartikeln auf die Strömung in sogenannten „Blasensäulen-Reaktoren“ aufklären. Diese Apparate, die einem großen Zylinder ähnlich sehen, werden für den Herstellungsprozess vieler täglich genutzter Produkte, wie Kunststoffe oder schwefelarme Kraftstoffe, eingesetzt.

In diese Säulen, die mit Flüssigkeit gefüllt sind, strömt dafür am Säulenboden durch viele Löcher Gas, das dann in Form von Blasen aufsteigt. Auf diese Weise wird das Gas in die Flüssigkeit transportiert und gelangt zu Katalysatorpartikeln, die häufig benötigt werden, damit die chemischen Prozesse überhaupt ablaufen können. Denn an deren Oberfläche spielt sich die Reaktion zwischen Gas und Flüssigkeit ab. Dieser Gas-Flüssig-Stofftransport bestimmt die Ausbeute in den Reaktoren und hängt maßgeblich von der Strömung ab.

Wie genau sich die Katalysatorpartikel auf die Bildung der Gasblasen und die Strömung in den Säulen auswirken, konnte bislang jedoch noch nicht umfassend geklärt werden. Die Forschung ging davon aus, dass die Partikel in erster Linie die Bildung von großen Blasen durch Koaleszenz – also durch Zusammentreffen und Verschmelzen – begünstigen, was aber alles andere als optimal für die Abläufe wäre. Denn einzelne große Blasen bedeuten im Gegensatz zu vielen kleinen Bläschen eine geringere Oberfläche für den Transport des Gases in die Flüssigkeit.

In ihren Untersuchungen konnten die HZDR-Wissenschaftler nun jedoch zeigen, dass die bisherigen Annahmen nur teilweise stimmen. Zwar ist es richtig, dass die Katalysatorpartikel die Stabilität der Strömung in den Reaktoren entscheidend beeinflussen – ob dies jedoch positive oder negative Folgen hat, hängt stark von ihrer Konzentration ab. Ist sie sehr gering, lagern sich die Partikel an die kleinen Gasblasen an und stabilisieren sie so. Höhere Konzentrationen führen aber dazu, dass sich große Blasen bilden. Bei weiter zunehmender Konzentration steigen wiederum die Wechselwirkungen zwischen den Partikeln und Blasen, wodurch letztere zerfallen und damit den Stofftransport in den Blasensäulen intensivieren.

Diese Erkenntnisse liefern wichtige Ansatzpunkte, um die Herstellungsverfahren zu optimieren. Und das könnte letztendlich nicht nur Geld, sondern auch viel Energie einsparen.

  • Publikation: S. Rabha, M. Schubert & U. Hampel, „Intrinsic flow behavior in a slurry bubble column: A study on the effect of particle size”, Chemical Engineering Science, 93 (2013, DOI: 10.1016/j.ces.2013.02.034)
  • Kontakt: Dr. Markus Schubert, Institut für Fluiddynamik