Titel 11 Während eines Marie-Curie-Projekts gelang es Jain zu zeigen, dass bestimmte Siderophore, nämlich Desferoxamine, sich nicht nur als Eisensammler eignen, sondern auch extrem niedrig konzentriertes Gallium aus Abwässern gewinnen können. „Es gibt kein anderes Molekül, das Eisen ähnlich gut einfangen kann. Da Gallium und Eisen sich chemisch sehr ähneln, hatten wir Grund zu der Annahme, dass es möglicherweise auch Gallium sehr gut bindet. Es gab erste Studien, aber noch keine für Industrie-Abwässer. Wir haben den nächsten Schritt gemacht, und der funktionierte perfekt“, sagt Jain. So gut sogar, dass der Forscher heute vor der Gründung zweier Start-ups steht, die die Technologie vermarkten sollen – eines in Deutschland und eines in Indien, Jains Heimat, wo er bereits Gespräche nicht nur mit möglichen Industriepart- nern, sondern auch mit einem Bergbauunternehmen aufge- nommen hat. Ein wichtiger Faktor für den Markteintritt: Die notwendigen Siderophore sind in Industriequalität kommerziell verfügbar. Scale-up für die Industrie Der Markt für die neue Technologie ist riesig: „Es gibt jede Menge Gallium-Abfall – also auch viel brauchbares Potenzial“, schätzt Jain ein. Bei Herstellungsfirmen der Hightech-Branche fallen typischerweise zwischen 10.000 und 300.000 Liter Ab- wässer pro Tag an. Im Bergbau sogar 20 Millionen Liter oder mehr. Allein im deutschen Hochtechnologie-Sektor ließen sich fünf bis zehn Tonnen Gallium pro Jahr durch Recycling aus Abwässern einsparen. In der europäischen Bergbauindustrie, also Lagerbeständen in Deutschland und aktiver Industrie in Griechenland oder Italien, sogar die zehnfache Menge – genug, um Deutschland und die EU unabhängig von Importen zu machen. Können die Siderophore dies leisten? Der erste Prototyp einer Anlage im Labor startete mit bescheidenen 10 Millilitern Durchsatz pro Tag. Die Forscherinnen arbeiteten sodann an Trennverfahren, die das Gallium in der Flüssigkeit Stück für Stück aufkonzentrieren. Dafür mussten sie Antworten auf grundsätzliche Fragen finden: Wie genau binden die Sidero- phore an Gallium und welchen Effekt hat beispielsweise eine Änderung des pH-Wertes oder der Metallmischung in den Abwässern? Wie lässt sich das Biomolekül wieder aus dem Wasser herausfischen, nachdem es Gallium gebunden hat? Und wie kann es anschließend recycelt werden, damit das Verfahren wirtschaftlich und umweltfreundlich bleibt? Inzwischen bewältigt die Anlage bereits hundert Liter pro Tag, bald sollen es tausend bis zweitausend Liter werden. „Den Durchsatz von einem auf hundert Liter zu steigern, war viel komplizierter als von hundert zu tausend. Hier liegen die Her- ausforderungen eher in der Größe der Container, dem Platz und den Sicherheitsvorkehrungen. Das Hochskalieren ist jetzt mehr Ingenieurs- als wissenschaftliche Herausforderung“, betont Jain. Auch die Grundlagenforschung geht weiter. Mehr als 500 verschiedene Siderophore sind der Fachwelt mittlerweile be- kannt. Einige davon könnten sich neben Gallium auch für die Rückgewinnung weiterer Metalle wie Germanium, Indium oder sogar Seltener Erdmetalle eignen. Allerdings ist von den auf dem Markt erhältlichen Siderophoren nur eines preiswert genug für die industrielle Anwendung. Für diese Herausforde- rung suchen die Dresdner Forscher nach einer biotechnolo- gischen Lösung. Mit der Bioangel auf Rohstoffjagd Die HIF-Nachwuchsgruppenleiterin Franziska Lederer setzt auf eine alternative Technologie zur Biosorption. Mit ihrer Gruppe „BioKollekt“ maßschneidert sie mikroskopische Angeln und Filter aus Biomolekülen. Auf diese Weise möchte sie auch die Seltenen Erden aus Abwässern und Abfällen rück- gewinnen. Seltene Erden zählen ebenfalls zu den strategisch wichtigen Metallen: Sie stecken etwa in leistungsstarken Magneten für Windräder, Elektromotoren, Kernspintomogra- phen und Kopfhörer, in LEDs und Plasmabildschirmen oder in Hochtemperatur-Brennstoffzellen. In der Natur kommen sie ausschließlich in Verbindung mit Erzen vor. „Das Problem an Seltenen Erden ist: Sie sind sich physikalisch und chemisch besonders ähnlich und deshalb sehr schwer zu trennen. Wenn man sie aus einem Bergwerk fördert, braucht es 200 Prozessschritte, bis das Materialgemisch das reine Selten-Erdelement enthält. Diese Schritte sollen im Recyc- ling deutlich vereinfacht werden. Einerseits, weil wir kein so hochkomplexes Material haben, und andererseits, weil wir mit viel spezifischeren Methoden die Seltenen Erden abtrennen wollen“, erklärt Lederer. Ihre Bioangeln und -filter können unterschiedliche Elemente aus flüssigen und festen Stoffgemischen hochselektiv und individuell heraussammeln. Sie sind in dieser Hinsicht Siderophoren überle- gen. Für die hohe Selektivität sorgen Peptide, kleine Eiweißmole- küle, die die Forscherinnen auf Trägermaterialien verankern und die – je nach Struktur – nur an spezifische Zielmoleküle binden. Die proteinähnlichen Peptide bestehen aus mehreren gekoppel- ten Aminosäuren. Sie sind klein und robust. Ihr großer Vorteil: Es gibt unzählige Möglichkeiten, Peptide aufzubauen und damit auch unzählige Einsatzmöglichkeiten. Allerdings ist die Suche nach dem passenden Peptid äußerst mühsam. Bakteriophagen und die Nadel im Heuhaufen Franziska Lederer und ihr Team greifen dafür auf „Phagen- Display-Bibliotheken“ zurück, gewaltige Sammlungen unter- schiedlicher Bakteriophagen. Das sind spezielle Viren, die Bakterien infizieren und dabei über Peptide auf ihrer Oberflä- che Bindungen eingehen. In der medizinischen Wirkstofffor- schung ist dies ein Standardverfahren. In die Bakteriophagen werden Genmischungen eingeschleust; die Gene verändern die Peptide. Infizierte Bakterien produzie- ren dann Milliarden von neuen Bakteriophagen- und Peptid- Varianten. Binden einzelne davon in Tests an ein spezifisches Zielmolekül, sondern die Forscher diese Bakteriophagen ab, vermehren sie weiter und testen die daraus entstehen- den Varianten erneut. Durch Zugabe von saurer oder öliger Flüssigkeit erschweren sie die Bindung der Peptide, sodass schließlich nur diejenigen mit der stärksten Bindungsfähigkeit die Auswahl überstehen. „Die Bibliothek der Bakteriophagen ist quasi ein riesiger Schlüsselbund und ein Biomolekül darin ist der passende Schlüssel“, sagt Lederer.