30 Forschung nen Seltenen Erden aus dem abgebauten Erz herauszulösen und voneinander zu trennen, werden gewaltige Mengen an Gestein bewegt, gemahlen und mit giftigen Chemikalien und hochkonzentrierten Säuren behandelt, was die Abbaugebiete dauerhaft belastet. Enorme Verluste vom Bergbau bis zur Produktion Das begehrte Europium stammt – wie alle Elemente der Seltenen Erden – vor allem aus China und Brasilien, obwohl es auch in den USA, in Australien und einigen europäischen Ländern Vorkommen gibt. „Auf jeder Stufe, vom Bergbau über die Verarbeitung, die Produktion von Bauteilen bis zum Recycling der Seltenen Erden haben wir enorme Verluste, die wir uns eigentlich nicht mehr erlauben dürfen. Gerade der Bergbau zerstört oft großflächig Landschaften und Umwelt“, weiß Vinzenz Brendler, Abteilungsleiter im HZDR-Institut für Ressourcenökologie. Nur auf der Grundlage von fundierten und belastbaren Daten zum chemischen Verhalten dieser Elemente lassen sich die Prozesse bei Erzaufbereitung, Weiterverarbeitung und Wiederaufbereitung effizienter und verträglicher gestalten. Deshalb hat der Datenexperte Brendler zusammen mit seinem Kollegen Norbert Jordan eine große Studie zu Europium konzipiert und Partner mit ins Boot geholt: Fachleute aus dem Paul-Scherrer-Institut in der Schweiz und aus der Endlager- sicherheitsforschung in Schweden. Die Ergebnisse liegen nun in einer strukturierten Datenbank vor und sind für jedermann zugänglich. Europium: Bekannt für sein Leuchten Im Jahr 1901 entdeckt, ist Europium mit Americium das einzi- ge Element, das nach einem Kontinent benannt ist. Mit einer Dichte von 5,24 Gramm pro Kubikzentimeter zählt es zu den Leichtgewichten unter den Schwermetallen. Es glänzt silbrig, läuft aber im Kontakt mit Luft sofort an und ist ausgesprochen reaktionsfreudig. In wässrigen Lösungen oder mit Säuren kann es zu Komplexverbindungen reagieren. Und ab 150 Grad Celsius entzündet es sich spontan. Die physikalischen Eigen- schaften machen Europium für einige Anwendungen beson- ders wertvoll, ja unverzichtbar: Es leuchtet intensiv rot, wenn Licht bestimmter Wellenlänge auf das Material trifft. Früher wurde Europium in den roten Pixeln von Kathodenbild- schirmen für Farbfernseher eingesetzt, heute bringt es Leucht- dioden zum Strahlen, wird für bildgebende Verfahren in der Medizin benötigt und macht durch seine Fluoreszenz Bankno- ten fälschungssicher. Dafür wird es in Wirtsgitter aus metal- lischen oder halbleitenden Elementen eingebaut und kann je nach Umgebung auch in anderen Farben als rot leuchten. Europium kommt außerdem als Zusatz in Katalysatoren, Mag- neten, Legierungen und Gläsern zum Einsatz – oder als guter Neutronen-Absorber in den Steuerstäben für Kernreaktoren. Die weltweite Fördermenge pro Jahr liegt bei rund 400 Tonnen Europium-Oxid. Das erscheint im Vergleich zu Fördermengen anderer Rohstoffe gering, doch da das Element in Bastnäsit nur in Konzentrationen von 0,1 Prozent vorliegt, entstehen große Mengen Abraum mit umweltschädlichen Bestandteilen. Publikationen aus 120 Jahren ausgewertet „Viele glauben, dass die chemischen und thermodynamischen Eigenschaften von Europium sehr gut bekannt sind, aber das stimmt so nicht, auch wenn es für Europium im Vergleich zu anderen Selten-Erd-Elementen bisher die meisten Publi- kationen gibt“, erläutert Norbert Jordan. Zum Verhalten von Europium in wässriger Lösung mit Sulfat beispielsweise exis- tieren über 50 Publikationen. Nach gründlicher Überprüfung erwiesen sich jedoch nur die Daten aus acht dieser Beiträge als verlässlich. Bereits vor mehr als zehn Jahren hatte Jordan damit be- gonnen, Ergebnisse aus älteren Publikationen zu Europium kritisch zu hinterfragen. In einem kleinen Team hat er seither quasi nebenbei an diesem Thema weitergearbeitet. Erst als es ihm gelang, Fördermittel einzuwerben, nahm das Europium- Projekt an Fahrt auf. Nun haben Jordan und Brendler zusam- men mit den Kooperationspartnern alle wesentlichen Publika- tionen – sage und schreibe 350 Referenzen mit 1.430 Werten – aus wissenschaftlich anerkannten Fachjournalen überprüft, die zwischen 1901 und 2021 erschienen sind. „In dieser großen Zeitspanne haben sich die Publikationskul- turen stark verändert, zudem haben wir auch Publikationen in russischer und chinesischer Sprache einbezogen und mit Hilfe von muttersprachlichen Kollegen ausgewertet“, erklärt Jordan. Etwa die Hälfte aller Daten stammt aus den Jahren 1960 bis 1980. „Bei den neueren Publikationen nahmen wir oft auch Kontakt zu den Forschungsgruppen auf, wenn uns etwas unklar war“, fährt der Chemiker fort. Gleichzeitig betont er die Qualität einiger Publikationen, die detailreich und wissenschaftlich fundiert aufzeigen, wie genau die Ergebnisse zustande kamen. Doch das war nicht immer der Fall: „Manchmal brauchten wir Tage, um einen Beitrag zu verstehen, weil wichtige Angaben fehlten. Und manchmal waren die vorgestellten Ergebnisse auch unwahrscheinlich oder widersprüchlich.“ In einigen Fäl- len hat Jordan die Experimente im eigenen Labor wiederholt. „Die Ergebnisse zu Europium-Phosphat, die wir in der Literatur gefunden haben, waren zum Beispiel falsch. Wir haben daher genaue Daten im Labor ermittelt, die nun in die Verbesserung von Verfahren einfließen können“, berichtet Jordan. In Verbin- dung mit Chlorid in wässrigen Lösungen verhält sich Europium ebenfalls anders – es reagiert nicht so stark, wie behauptet, sondern im Gegenteil nur schwach. Computersimulation statt Versuch und Irrtum Die neuen Erkenntnisse zum chemischen und physikalischen Verhalten von Europium in unterschiedlichen Umgebungen werden gebraucht. Denn bisher bauen viele technologische Verfahren für die Gewinnung und Verarbeitung von Euro- pium auf Schätzwerte und Erfahrung. Mit soliden Daten könnten sich chemische Reaktionen im Vorfeld am Computer simulieren lassen. Das würde dabei helfen, umweltfreundli- chere Methoden zu entwickeln oder Recyclingverfahren aus Elektroschrott zu verbessern – für weniger Bergbau und eine funktionierende Kreislaufwirtschaft.