_TITEL . DRESDEN-concept: Allianz für Spitzenforschung
_TEXT . Uta Bilow
Von Ketten, Ringen und Helikaten
FZD Journal 04. August 2009
Wenn Chemiker zu Architekten werden, ist die so genannte supramolekulare Chemie im Spiel. Aus mehreren Molekülen entstehen große Komplexe - wie die Helikate, deren Aufbau an die Doppelhelix der Erbsubstanz erinnert und die Forscher von FZD und TU gemeinsam untersuchen.
Das Strukturmotiv der Erbsubstanz sind zwei Stränge, die sich spiralförmig umeinander winden. Die Verbindung zwischen diesen beiden Strängen leisten so genannte Wasserstoffbrückenbindungen, die wie Sprossen zwischen den beiden Strängen liegen. Das Ganze erinnert an eine verdrillte Leiter oder auch eine Wendeltreppe. Diese faszinierende Struktur nehmen auch die Helikate an - mit dem Unterschied, dass hier Metallionen anstelle von Wasserstoffbrücken für den Zusammenhalt zwischen den Strängen sorgen. Die Helikate wurden erstmals von dem französischen Chemiker Jean-Marie Lehn beschrieben. Gemeinsam mit zwei weiteren Forschern erhielt er für seine Arbeiten auf dem Gebiet der supramolekularen Chemie den Nobelpreis für Chemie im Jahr 1987.
Karsten Gloe und seine Mitarbeiter an der Fachrichtung Chemie und Lebensmittelchemie der TU Dresden haben gemeinsam mit FZD-Forschern um Gert Bernhard diese Helikate weiterentwickelt. Besonders interessiert sind die Forscher an circularen Helikaten, die sich zum Ring schließen - wie ein Möbiusband, jene Art eines Rings, der entsteht, wenn man einen Papierstreifen, bevor man seine Enden miteinander verklebt, einmal verdreht. Vorbilder für solche circularen Helikate finden sich auch in der Natur. So kennt man Bakterien, deren Erbsubstanz in Form solcher verdrillten Ringe vorliegt. Diese Cyanobakterien gehören zu den ältesten Lebewesen auf der Erde und sind maßgeblich an der Entstehung der Sauerstoffatmosphäre beteiligt. Sie finden sich heute noch zusammen mit den so genannten Stromatolithen, ihren auffällig geformten Ablagerungen, in einigen Gewässern, wie zum Beispiel im Hamelin Pool in West-Australien.
Im Arbeitskreis Koordinationschemie an der TU Dresden ist der aus Kamerun stammende Doktorand Harold B. Tanh Jeazet mit der Synthese dieser Substanzen beschäftigt. Aus Kupfersalzen und organischen Molekülen, die über mehrere Bindungsfunktionen in Form von Stickstoff-Atomen verfügen und in etwa die gebogene Form einer Banane aufweisen, gelang es ihm, im Labor neuartige circulare Helikate herzustellen. Die ringförmigen Komplexe bestehen aus sechs Kupfersulfat-Teilchen und sechs organischen Molekülen. Jeder dieser Liganden ist an seinen beiden Enden über Kupfer-Zentren mit zwei weiteren Liganden verbunden. Der gesamte Ring ist in sich selbst verdrillt - eben ein Helikat. Die exakte Struktur der circularen Helikate konnten die Forscher in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern vom IFW Dresden unter Einsatz von Röntgenbeugungsmethoden ermitteln.
Abb.: Ein vielseitiger Ligand: Je nach Art des Metallions entstehen verschiedene Strukturen. Durch Zugabe von Kupfersulfat erhält man das untengezeichnete circulare Helikat. |
Konstruktionsprinzip Selbstorganisation
Zwei Prinzipien sind kennzeichnend für die supramolekulare Chemie, wie Karsten Gloe und seine Mitarbeiter sie betreiben: die molekulare Erkennung und die Selbstorganisation. Darunter versteht man, dass die Bestandteile, aus denen ein großer supramolekularer Komplex entstehen soll, Atome oder Baugruppen besitzen, die sich gegenseitig "erkennen" und daher anziehen. Die Moleküle begeben sich im Reaktionsgefäß quasi von selbst auf Partnersuche. Das erleichtert den Chemikern die Arbeit ungemein. Die Ausbeuten sind sehr hoch, die Reaktionsbedingungen entsprechend mild - im Kontrast zu vielen anderen chemischen Herstellungsverfahren.
Das Konstruktionsprinzip lässt sich vergleichen mit jenen Magnetbaukästen, die Magnetstäbe und Eisenkugeln enthalten und unter verschiedenen Handelsnamen angeboten werden. Die Stäbe lassen sich über die Kugeln verbinden und frei nach Phantasie zu verschiedenen Geometrien verbauen. Bei den Helikaten entsprechen die Metallionen den Eisenkugeln, und die stickstoffhaltigen organischen Substanzen den Magnetstäben. Die positiv geladenen Metallionen und die Stickstoffatome mit ihrem freien Elektronenpaar ziehen sich gegenseitig an. Je nach Art der Pyridylimine, wie die stickstoffhaltigen organischen Verbindungen in der Fachsprache heißen, lassen sich damit unterschiedliche Strukturen realisieren - Ketten, Ringe, Helikate oder Käfige.
Die Arbeitsgruppe an der TU Dresden nutzt neben Kupfer auch Mangan, Kobalt, Nickel oder Silber als koordinierende Metall- Teilchen. Weitere Stellschrauben im System sind, neben der Auswahl der stickstoffhaltigen Liganden, auch die Reaktionsbedingungen wie Art des Lösungsmittels und des Gegenions, Konzentration der Komponenten oder Temperatur. Als Ergebnis entsteht eine Vielfalt an Architektur: lineare oder circulare Helikate, molekulare Kapseln, symmetrische Propeller oder ausgedehnte Gitter mit regelmäßigen Hohlräumen.
Das Prinzip, Moleküle zu reizen, sich selbst zu größeren Einheiten zusammenzufügen, ist der Natur abgeschaut. Eindrucksvolles Beispiel ist etwa das Tabakmosaikvirus, ein verbreiteter Pflanzenschädling, der sich von selbst aus gleichartigen Untereinheiten zusammensetzt. Auch Hämoglobin zählt zu den Vorbildern. Die Untereinheit, die für Bindung und Transport von Sauerstoff zuständig ist, liegt nicht isoliert vor, sondern ist in einer Umgebung aus Proteinen fixiert. Die supramolekularen Komplexe werden dabei stets durch besondere Bindungen zusammengehalten, die zu den schwachen Wechselwirkungen zählen. Im Gegensatz dazu sind die Atome innerhalb eines Moleküls durch gemeinsame Elektronenpaare sehr fest aneinander gebunden. Zu den schwachen Wechselwirkungen gehören Wasserstoffbrücken- Bindungen, van-der-Waals-Kräfte, π-Bindungen oder Coulomb-Wechselwirkungen sowie koordinative Bindungen. Sie sorgen für den Zusammenhalt der Bestandteile eines supramolekularen Komplexes untereinander. In den vergangenen Jahren haben Chemiker immer mehr darüber gelernt, wie man die Palette dieser Bindungen kreativ nutzen kann. Der Nobelpreisträger Jean-Marie Lehn beschrieb es einmal so: "Bildlich gesprochen kann man Atome als Buchstaben interpretieren. Den Molekülen, die von der molekularen Chemie studiert werden, entsprechen dann die Wörter. Die supramolekulare Chemie untersucht, wie die Natur aus diesen Wörtern ganze Sätze bildet, aufgrund welcher Gesetze sich Moleküle zu komplexeren Strukturen zusammenschließen."
Ordnung erzeugt Funktion
In biologischen Systemen gehören supramolekulare Komplexe zu den wesentlichen Funktionsträgern. Hämoglobin ist ein Beispiel dafür, und auch die Erbsubstanz selbst, die DNA. Wenn Chemiker das Konstruktionsprinzip der Selbstorganisation anwenden, wollen sie ebenfalls Komplexe mit maßgeschneiderten Funktionen herstellen. Die Helikate aus dem Chemielabor sind beispielsweise interessante Kandidaten für die Bindung von langlebigen Radionukliden. Anstelle von Kupfer-Ionen könnten auch Metalle wie Uran oder Plutonium die Verknüpfung zwischen den stickstoffhaltigen Liganden übernehmen. Forscher um Gert Bernhard, Professor für Radiochemie an der TU Dresden und Direktor des Instituts für Radiochemie im FZD, untersuchen daher, wie sich die supramolekularen Komplexe dazu eignen, radioaktiv kontaminierte Gebiete oder Abfälle aufzuarbeiten.
Generell wird der supramolekularen Chemie ein hohes Potenzial zugeschrieben. Sie soll neue Werkstoffe mit spezifischen Eigenschaftsprofilen zugänglich machen, völlig neue Substanzklassen oder winzige Funktionseinheiten, die etwa in Computern oder anderen Maschinen Verwendung finden könnten. Letztlich werden damit wesentliche Grundlagen für den "bottom-up"-Ansatz im Rahmen der Nanotechnologie entwickelt. Auch im Hinblick auf die Diagnose oder Heilung von Krankheiten erscheint es interessant, die Prinzipien der supramolekularen Chemie genauer zu erforschen.
Wenngleich eine Reihe dieser Innovationen auch erst am Anfang stehen, hat das Gebiet an der Schnittstelle zwischen Chemie, Biologie, Physik und Materialwissenschaften einen hohen Reiz für viele Forscher. Das Interesse an der Erforschung supramolekularer Komplexe speist sich dabei zum einen aus dem Wunsch, neue Stoffe, die wichtige Funktionen erfüllen, mit Energie und Ressourcen schonenden Verfahren zu synthetisieren. Zum anderen steht aber ebenso im Fokus, komplexe biologische Vorgänge besser verstehen und nutzen zu können.
_KONTAKT
Technische Universität Dresden
Abteilung Chemie und Lebensmittelchemie /
Koordinationschemie
Prof. Dr. Karsten Gloe
karsten.gloe@chemie.tu-dresden.de