_TITEL . DRESDEN-concept: Allianz für Spitzenforschung
_TEXT . Christine Bohnet
Multitalent Keramik
FZD JOURNAL 04 . August 2009
Gemeinsam mit einem internationalen Forscherteam entdeckten Axel Lubk von der TU Dresden und Sibylle Gemming vom FZD neue Eigenschaften an einer speziellen Keramik und erweitern so die Möglichkeiten für ihren Einsatz.
Kann Keramik, ein Material, das Menschen seit Jahrtausenden im Gebrauch haben, uns heute noch Rätsel aufgeben? Offensichtlich ja, denn es werden immer wieder neue wertvolle Eigenschaften des Werkstoffs für den Einsatz in modernster Technik entdeckt. Keramik ist eigentlich ein Sammelbegriff, unter dem viele Stofftypen zusammengefasst werden, etwa auch Werkstoffe aus Metalloxiden, die bei höheren Temperaturen gesintert werden. Allerdings nur große Werkstücke, dünne Keramikschichten stellt man mit anderen Verfahren her. Der Vielfalt der keramischen Werkstoffe entspricht die Vielfalt der Einsatzmöglichkeiten und der diesen zugrundeliegenden Materialeigenschaften. Ein internationales Forscherteam, dem Axel Lubk von der TU Dresden und PD Dr. Sibylle Gemming vom Forschungszentrum Dresden- Rossendorf angehörten, fand bei der keramischen Substanz Wismutferrat vor kurzem sehr ungewöhnliche Eigenschaften.
Wismutferrat enthält drei Typen von Atomen: das nichtmagnetische Metall Wismut, magnetisches Eisen und Sauerstoff. Dass es sich um einen ganz besonderen Stoff handelt, wusste das Forscherteam bereits zu Beginn der erfolgreichen Zusammenarbeit. Interessant ist der Stoff vor allem deshalb, weil er ein Multitalent ist und als solches über multiple Eigenschaften verfügt. Diese lassen sich, davon sind die Forscher überzeugt, gezielt manipulieren und für unterschiedliche Technologiefelder ausnützen. So könnte Wismutferrat etwa in der Datenspeicherung oder Datenkommunikation bzw. auf dem Gebiet der Spintronik sein großes Potential beweisen. Hinzu kommt, dass es keine gesundheitsschädlichen Schwermetalle enthält wie verwandte Substanzen, die sich heute schon in großen Stückzahlen im Einsatz befinden, beispielsweise in Membranen in Schallwandlern von Handys. Auch in der Medizintechnik nutzt man solche Stoffe für Ultraschallwandler oder in der Sicherheitstechnik, wo sie in bestimmten Sensorelementen stecken.
© Axel Lubk/TU Dresden |
Abb.1: Mit dieser Superzelle konnten die multiferroischen Eigenschaften an der Domänenwand genau berechnet werden. |
Vom Ferroelektrikum...
Zum Multitalent wird Wismutferrat dank der besonderen Zusammensetzung und Anordnung seiner Atome. Die 10 Atome der zugrundeliegenden Struktureinheit bilden zwar ein regelmäßiges Kristallgitter aus, doch hat dieses die Eigenart, dass sich die verschieden geladenen Ionen - die Sauerstoff-Ionen sind negativ geladen, Wismut und Eisen positiv - gegeneinander verschieben. Dadurch kommt es zu einer elektrischen Polarisation, die sich zum besseren Verständnis mit dem Phänomen des Magnetismus vergleichen lässt. Analog zum ferromagnetischen Eisen beispielsweise, das dauerhaft magnetisch ist, ist Wismutferrat dauerhaft elektrisch polarisiert. Allerdings lässt sich die Polarisierung bei hohen Temperaturen ausschalten, was wiederum auch für den Magnetismus zutrifft. Die Polarisation kann zudem durch das Anlegen einer Spannung gezielt umgepolt werden. Die kleinste räumliche Einheit, in der jeweils eine Polarisierungsrichtung vorliegt, nennt man Domäne - auch diese Wortwahl spiegelt die Analogie zum Magnetismus wider. Entsprechend heißen die Substanzen "Ferroelektrika", obwohl sie nicht direkt, sondern nur über die aufgezeigten Analogien mit dem Magnetismus verwandt sind.
...zum Multiferroikum
Waren die verschobenen elektrischen Ladungen für die dauerhafte Polarisation zuständig, so bringt das ferromagnetische Eisen im Wismutferrat den Magnetismus ins Spiel. Die Substanz als Ganzes ist nicht ferromagnetisch, doch verhalten sich die Eisenatome wie winzige Stabmagnete. Ursächlich hierfür sind die Spins der Elektronen, mit denen ein atomar kleines magnetisches Moment verbunden ist. In den meisten Materialien liegen diese Spins völlig ungeordnet vor, die im Wismutferrat vorhandenen Eisenatome sorgen jedoch für Ordnung unter den Elektronenspins. Die kleinsten Bereiche, in denen alle Spins regelmäßig ausgerichtet sind, heißen auch hier wieder Domänen. Spins lassen sich - ebenso wie die elektrische Polarisation - von außen beeinflussen, indem man ein Magnetfeld anlegt oder die Substanz erwärmt. Dabei bringt die zugeführte Energie die Eisenatome zum Wackeln und die Elektronenspins können ihre Richtung ändern.
Das Besondere von Wismutferrat und anderen multiferroischen Materialien ist nun, dass sowohl magnetische als auch elektrische Ordnungen vorliegen. Sind beide Eigenschaften verknüpft, ist es möglich, die elektrische Polarisation über magnetische Felder zu schalten oder umgekehrt die magnetischen Spins über elektrische Felder. Werden ferroelektrische Substanzen heute schon in unterschiedlichen Bereichen genutzt, so steht der großflächige Einsatz für das magneto-elektrische Schalten erst am Anfang. Vielversprechend erscheinen Anwendungsmöglichkeiten etwa in der Speichertechnologie oder in der Sensorik. Doch damit immer noch nicht genug. Das internationale Forscherteam hat Material und Effekte genauer untersucht und entdeckte dabei überraschenderweise, dass Wismutferrat noch mit einem weiteren Vorteil ausgestattet ist.
© Axel Lubk/TU Dresden |
Abb.2: Einheitszelle von Wismutferrat: die roten Pfeile zeigen die magnetischen Momente an Eisen, die Oktaeder die Verschiebung der Ionen gegeneinander. Dadurch entsteht die ferroelektrische Polarisation. |
Leitfähige Domänenwände
Domänen sind Bereiche, in denen die magnetischen Spins und die elektrische Polarisation geordnet vorliegen. Von Domäne zu Domäne ändert sich die bevorzugte Richtung von Spins und Polarisation, dazwischen befinden sich Wände, die die Domänen voneinander abgrenzen. Die kleinsten ferroelektrischen Domänen sind nur einige Nanometer groß und liegen damit in einer Größenordnung, die sie im Zeitalter der Miniaturisierung besonders reizvoll machen.
Wovon die Forscher zunächst ausgingen, war, dass Wismutferrat eine nicht leitfähige Keramik der besonderen Art ist, die zur Klasse der Multiferroika gehört. Keramiken aus Metalloxiden sind üblicherweise gute Isolatoren. Was sie in ihren Experimenten und durch umfangreiche Berechnungen herausfanden, überraschte die Experten jedoch: manche Wände zwischen den Domänen waren leitfähig. Damit zeigt Wismutferrat eine weitere Eigenschaft, mit der sich, gerade in Kombination mit dem magneto-elektrischen Schalten und der guten Bioverträglichkeit, der künftige Einsatz in unterschiedlichen Bereichen abzeichnet. Auch hier sind vor allem wieder die Datenspeicherung und -kommunikation zu nennen, beispielsweise verbesserte nicht-flüchtige Speicher, wie sie etwa für Computer nützlich wären. Ebenfalls bietet sich ein Einsatz in der medizinischen Sensorik an.
Dresdner Rechenkünstler
Welchen Aufgaben nahmen sich nun die am Team beteiligten Dresdner Forscher an? Axel Lubk und Sibylle Gemming sind, vereinfacht gesagt, Rechenkünstler, die Materialeigenschaften mit Computerhilfe simulieren. Mit der Computer- Kapazität des Zentrums für Hochleistungsrechnen der TU Dresden, des FZD und der Universität Santa Barbara (USA) konnten sie und ihre Projektpartnerin aus Kalifornien das Zusammenwirken der verschiedenen physikalischen Phänomene auf atomarer Skala beschreiben. Sibylle Gemming kennt die Substanzklasse und die Thematik der Grenzflächen von früheren Forschungen gut und wurde deshalb gefragt, ob sie die Ausgangsstrukturen programmieren wolle. Dabei handelt es sich um eine Art Platzierungsprogramm, das genau festlegt, wo und wie jedes einzelne Atom im Kristallgitter sitzt. Mit den Superzellen von Sibylle Gemming stellte Axel Lubk von der TU Dresden aufwändige Berechnungen an und so konnte das Wissenschaftlerteam die Domänen in der Keramik Wismutferrat erstmals vollständig beschreiben. Damit weiß man nun, wie sich Elektronen und Kerne an der Domänenwand aus der Gittersymmetrie herausschieben und so das Gitter lokal verzerren. Lubk fand nicht nur heraus, wie sich die vielen Teilchen gegenseitig anziehen bzw. abstoßen, sondern auch, dass die Ladungsträger-Verteilung im Material gewisse Unterschiede aufweist, die dazu führen, dass manche Domänenwände leitfähig sind und manche nicht.
Betrachtet man nur die ferroelektrischen Eigenschaften, so gibt es drei Typen von Domänenwänden, davon ist einer nicht leitfähig, zwei dagegen sind leitfähig, und davon ist wiederum ein Typ zudem auch sehr stabil. Die Größe von Domänenwänden bewegt sich im Nanometerbereich und ist damit heutzutage adressierbar. Die Berechnungen und Simulationen aus Dresden und Santa Barbara konnten in den Experimenten, die im amerikanischen Berkeley durchgeführt wurden, untermauert werden. Dort wurden auch die mehrschichtigen Proben hergestellt. Gemeinsam erforschte das internationale Team somit die Keramik Wismutferrat, deren Vorteile - leitfähige Domänenwände, magneto-elektrisches Multitalent und bleifreies Material - sie zu einem Topkandidaten machen einerseits als Ersatz der im Einsatz befindlichen bleihaltigen Ferroelektrika und andererseits als neuen Spieler im Rennen um günstige nicht-flüchtige Speicher mit immer kleiner werdenden Strukturgrößen.
_KONTAKT
Institut für Ionenstrahlphysik und
Materialforschung im FZD
Dr. Sibylle Gemming
s.gemming@hzdr.de
Technische Universität Dresden
Axel Lubk (ehem.: Rother)
axel.rother@triebenberg.de