Entwicklung und Validierung eines semi-analytischen Modells zur Beschreibung der Kühlmittelvermischung im Reaktordruckbehälter von Druckwaserreaktoren

Diese Arbeiten wurden im Rahmen des durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit (BMWA) vom 01.04.1998 bis zum 31.05.2002 geförderten Projekts "Kühlmittelvermischung in Druckwasserreaktoren" (Projektnummer: 1501216) durchgeführt.

Hintergrund

In hypothetischen Störfallszenarien, die mit asymmetrischen Störungen im Primärkreislauf von Kernreaktoren in Zusammenhang stehen (Frischdampfleck oder lokale Borverdünnung) ist es notwendig dreidimensionale Effekte zu berücksichtigen. Im allgemeinen wird die Analyse eines solchen hypothetischen Störfalls in drei off-line gekoppelten Schritten durchgeführt. Zuallererst wird mit einem Systemcode eine thermohydraulische Analyse des Prozesses vorgenommen. Aus dieser Rechnung werden Randbedingungen für die Analyse der dreidimensionalen Vermischungsprozesse im Reaktordruckbehälter mit Hilfe eines Computational Fluid Dynamics (CFD) -codes abgeleitet. Die Ergebnisse dieser Rechnung (Temperatur- oder Borkonzentrationsverteilung am Eintritt in den Reaktorkern) werden in einer dreidimensionalen neutronenkinetischen Kernrechnung verwendet.

In letzter Zeit wurden dreidimensionale Neutronenkinetikprogramme mit fortgeschrittenen thermohydraulischen Systemcodes gekoppelt. Um aber von der oben beschriebenen off-line gekoppelten Methodik zu einer vollständig gekoppelten Analyse des kompletten Prozesses übergehen zu können, ist die Implementierung eines Modells nötig, dass die Thermohydraulik des Systemcodes mit der Thermohydraulik des Kernmodells verbindet und dabei die Vermischungsprozesse im Reaktordruckbehälter in realistischer Weise simuliert. Aufgrund der langen Rechenzeiten ist die direkte Einbindung von CFD-Modulen mit detaillierter Turbulenzmodellierung in die entsprechenden Analysetools zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht praktikabel. Aus diesem Grund besteht die Notwendigkeit der Entwicklung eines vereinfachten, schnellrechnenden Modells zur Beschreibung der Kühlmittelvermischung im Reaktordruckbehälter.


Das semi-analytische Vermischungsmodell SAPR

Grundlagen eines vereinfachten Modells für die Beschreibung der Kühlmittelvermischung

Hinsichtlich des Transports eines deborierten Pfropfens von den Eintrittsstutzen durch den Downcomer und das untere Plenum bis zum Kerneintritt kann der Reaktordruckbehälter als ein Übertragungssystem mit mehreren Ein- und Ausgängen betrachtet werden. Eingangssignale sind die Kühlmittelenthalpie und die Borkonzentration an jedem der Eintrittsstutzen. Im allgemeinen können sich die Signale an den einzelnen Eintrittsstutzen unabhängig voneinander verhalten. Die Ausgangsgrößen aus diesem System sind die jeweiligen Signale an jeder Brennelementposition in der Kerntrageplatte. Das System ist zeitabhängig, wenn das Geschwindigkeitsfeld sich mit der Zeit ändert. Die im Kühlmittel gelöste Borsäure kann als ein Skalar betrachtet werden, der mit dem Geschwindigkeitsfeld transportiert wird. Dieser Skalar übt keine Rückwirkung auf das Geschwindigkeitsfeld aus. Aus diesem Grund ist der Transport einer skalaren Größe in einem gegebenem Geschwindigkeitsfeld ein linearer Prozess. Das bedeutet weiterhin, das für gegebene geometrische Randbedingungen (Geometrie des Druckbehälters) und eine bekannte Geschwindigkeitsverteilung im System, verschiedene Skalarfelder linear überlagert werden können. Dies trifft sowohl für stationäre als auch für transiente Prozesse zu.

Dadurch ergibt sich die Möglichkeit der Entwicklung eines vereinfachten Vermischungsmodells für den Bortransport. In diesem Modell wird der Reaktordruckbehälter formal durch eine Anzahl von Übertragungssystemen mit einem Ein- und einem Ausgang, für jede Kombination von Eintrittstutzen und Brennelementposition eines, beschrieben. Diese Systeme haben unterschiedliche Übertragungseigenschaften, aber es gibt keine Wechselwirkung zwischen ihnen.

Die Anregung eines solchen Systems durch einen Dirac-Impuls ist eine geeignete Methode um die Übertragungseigenschaften zu bestimmen. Eine Störung beliebiger Form (z.B. ein Pfropfen mit verringerter Borkonzentration) am Eingang in die Systeme kann durch eine Sequenz von Dirac-Impulsen dargestellt werden. Die Systemantwort an jeder Brennelementposition kann durch Überlagerung der Antworten verschiedener Dirac-Impulse mit identischen Koeffizienten wie am Eintritt gewonnen werden.

Bestimmung der Übertragungseigenschaften für das Modell

Die Übertragungseigenschaften können sowohl experimentell oder mit CFD bestimmt werden. Hier wird die experimentelle Art der Bestimmung am Beispiel des Starts der ersten Hauptkühlmittelpumpe beschrieben. In diesem speziellen Fall reduziert sich die Anzahl der Eingänge in die Systeme auf einen.

Dafür wurden Experimente an der Versuchsanlage ROCOM durchgeführt. Die Messdaten zweier Gittersensoren wurden für die Bestimmung der Übertragungseigenschaften verwendet. Der Sensor im Eintrittsstutzen liefert das Eingangssignal in die Systeme, der Sensor in der Kerntrageplatte mit einer Messposition am Eintritt in jedes Brennelement die entsprechenden Ausgangssignale. Um die Übertragungseigenschaften zu bestimmen, wurden Experimente durchgeführt, bei denen Tracer über einen relativ kurzen Zeitraum (rd. 0.1s) in die Schleife mit der startenden Pumpe eindosiert wurde. Es musste in diesen Experimenten berücksichtigt werden, dass während des Pumpenanlaufs das Übertragungsverhalten zeitabhängig ist. Deshalb wurde der Einspeisezeitpunkt auf der Rampe in verschiedenen Experimenten variiert. Die Impulse von drei Experimenten sind im oberen Bereich der Abb. 1 dargestellt, darunter die Antworten auf diese Impulse an einer bestimmten Brennelementposition. Wie aus Abb. 1 zu sehen ist, wurden die Systeme mit einem Signal angeregt, das die Form eines Dirac-Impulses hat.


Fig. 1: Dirac-Impulse am Eintritt in den Reaktor und die entsprechenden Antworten an einer bestimmten Brennelementposition

Arbeitsweise des Modells

Der Zeitverlauf F(t) der Borkonzentration des zu modellierenden Pfropfens am Reaktoreintritt kann durch n Impulsfunktionen gj(t), wie auf dem Schema dargestellt, rekonstruiert werden, gj(t) ist dabei der Zeitverlauf des Impulses j, aj ist ein Koeffizient, der den Beitrag des Impulses j im zu modellierenden Pfropfens darstellt.

Der Zeitverlauf der Borkonzentration Hk(t) am Eintritt in jedes Brennelement k kann unter Verwendung der unten dargestellten Formel mit denselben Koeffizienten aj rekonstruiert werden, wobei hkj(t) der Zeitverlauf der Antwortfunktion j an der entsprechenden Brennelementposition k ist.

Die beschriebene Superpositionstechnik bildet den Hauptbestandteil eines Rechenprogramms mit dem Namen SAPR (semi-analytical perturbation reconstruction).



Validierung des SAPR-Modells an ROCOM-Experimenten

Abb. 2 zeigt den Zeitverlauf des Mittel- und Maximalwertes der normierten Störung in der Kerneintrittsebene in einem Experiment zum Anfahren der ersten Hauptkühlmittelpumpe. Die Vertrauensintervalle für die einfache (68.3%) und die zweifache Standardabweichung (95.4%), bestimmt auf der Basis mehrerer Realisierungen des Experiments sind auch mit eingezeichnet.
Das Experiment wurde auch mit dem CFD-code CFX-4 nachgerechnet. Somit wird hier der Vergleich von Experiment, semi-analytischem Modell und der CFX-Rechnung präsentiert.
Der mit SAPR berechnete Zeitverlauf des Mittelwertes der normierten Unterborierung zeigt praktisch den gleichen Verlauf wie der Experimentalwert. Das Maximum des Mittelwertes wird zum gleichen Zeitpunkt erreicht. Im weiteren Verlauf ist der berechnete Wert geringfügig höher als der gemessene, aber immer innerhalb des Vertrauensintervalls. In der CFX-Rechnung steigt die Konzentration langsamer an, das Maximum wird später erreicht. Im weiteren Verlauf ist auch der CFX-Wert innerhalb des Vertrauensintervalls (untere Grenze).
In beiden Rechnungen liegt die maximale Konzentration in der Kerneintrittsebene sehr dicht am experimentell gemessenem Wert. Nach Erreichen des Maximums in der Zeit, bewegt sich der mit SAPR berechnete Wert im oberen Bereich des Vertrauensintervalls, der CFX-Wert im unteren.



Abb. 2: Mittel- und Maximalwert der normierten Deborierung in der Kerneintrittsebene im Vergleich zwischen Experiment, semi-analytischem Modell (SAPR) und CFX-Rechnung (einschließlich Vertrauensintervalle von 68.3% und 95.4 %)

Die Übereinstimmung zwischen Rechnungen und Experiment an lokalen Positionen kann an Hand der Animation in Abb. 3 eingeschätzt werden. Hier werden die zeitabhängigen Verteilungen in der Kerneintrittsebene im Experiment (links), der SAPR-Rechnung (Mitte) und der CFX-Rechnung (rechts) miteinander verglichen.
Die mit SAPR berechneten Verteilungen zeigen in Zeitverlauf und Form eine sehr gute Übereinstimmung mit den Experimentaldaten des Durchganges der Deborierungsfront durch die Kerneintrittsebene. Die CFX-Rechnung zeigt qualitativ das gleiche Verhalten, alle wichtigen Effekte werden nachgebildet, aber die lokalen Unterschiede der mit CFX berechneten Verteilungen sind größer.



Abb. 3: Visualisierung des Durchgangs der Deborierungsfront durch die Kerneintritsebene im Experiment (links), der SAPR-Rechnung (Mitte) und der CFX-Rechnung (rechts)

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S. Kliem