Pressemitteilung vom 04.12.2023

Winzige Elektromagnete aus ultradünnem Kohlenstoff

Wenn Terahertz-Blitze auf Scheibchen aus Graphen treffen

Foto: Der Freie-Elektronen-Laser am HZDR ©Copyright: HZDR / Oliver Killig

Dr. Stephan Winnerl (re.) tauscht sich mit dem FELBE-Physiker Dr. John Michael Klopf zu Experimenten am Freie-Elektronen-Laser FELBE des HZDR aus.

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Graphen, also extrem dünner Kohlenstoff, gilt als wahres Wundermaterial. Jetzt hat ein internationales Forschungsteam mit Experimenten am Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR) den vielfältigen Eigenschaften eine weitere Facette hinzugefügt: Die Fachleute unter Leitung der Universität Duisburg-Essen beschossen mikrometerkleine Scheiben aus Graphen mit kurzen Terahertz-Pulsen, was die Winzlinge kurzzeitig zu überraschend starken Magneten machte. Perspektivisch könnte die Entdeckung für die Entwicklung künftiger Magnetschalter und -speicher nützlich sein. Die Arbeitsgruppe stellt ihre Studie im Online-Journal Nature Communications (DOI: 10.1038/s41467-023-43412-x) vor.

Graphen besteht aus einer ultradünnen Schicht aus nur einer Lage von Kohlenstoff-Atomen. Das erst 2004 entdeckte Material zeigt bemerkenswerte Eigenschaften: Unter anderem kann es elektrischen Strom ausgesprochen gut leiten. Genau das machten sich internationale Forscher*innen aus Deutschland, Polen, Indien und den USA zunutze: Mithilfe etablierter Halbleiter-Techniken brachten sie Tausende von winzigen, mikrometerkleinen Scheiben aus Graphen auf einem kleinen Chip auf. Diesen Chip beschossen sie anschließend mit einer besonderen Art von Strahlung zwischen dem Mikrowellen- und Infrarotbereich: kurzen Terahertz-Blitzen.

Foto: Freie-Elektronen-Laser FELBE im ELBE-Zentrum für Hochleistungs-Strahlenquellen des HZDR ©Copyright: HZDR/Oliver Killig

In der blauen Magnetstruktur, dem sogenannten Undulator, erzeugen die Elektronen vom ELBE-Beschleuniger Laserlicht.

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Um möglichst gute Bedingungen nutzen zu können, verwendete die Arbeitsgruppe unter der Federführung der Universität Duisburg-Essen für das Experiment eine besondere Lichtquelle: Am HZDR kann der Freie-Elektronen-Laser FELBE ausgesprochen intensive Terahertz-Pulse erzeugen. Das verblüffende Resultat: „Die winzigen Graphen-Scheiben wurden kurzzeitig zu Elektromagneten“, berichtet HZDR-Physiker Dr. Stephan Winnerl. „Dabei konnten wir Magnetfelder im Bereich von 0,5 Tesla erzeugen, das entspricht in etwa dem Zehntausendfachen des Erdmagnetfelds.“ Es handelte sich um kurze Magnetpulse, nur etwa zehn Pikosekunden lang, der hundertste Teil einer Milliardstel Sekunde.

Strahlungspulse rühren Elektronen um

Die Voraussetzung für den Erfolg: Die Forscher*innen mussten die Terahertz-Blitze auf eine besondere Weise polarisieren: Dabei veränderten spezielle Optiken die Schwingungsrichtung der Strahlung so, dass sie sich, bildlich gesprochen, schraubenförmig durch den Raum bewegte. Als diese zirkular polarisierten Blitze auf die mikrometerkleinen Scheibchen aus Graphen trafen, kam es zu dem entscheidenden Effekt: Angeregt durch die Strahlung fingen die beweglichen Elektronen in den Scheiben an zu kreisen – ähnlich wie Wasser in einem Eimer, das mit einem Kochlöffel umgerührt wird. Und weil gemäß den Grundgesetzen der Physik ein kreisender Strom stets ein Magnetfeld erzeugt, mutierten die Graphen-Scheiben zu winzigen Elektromagneten.

Foto: Wenn Terahertz-Blitze auf Scheibchen aus Graphen treffen ©Copyright: Uta Lucchesi

Trifft ein zirkular polarisierter Lichtstrahl (rot) auf eine mikrometerkleine Graphen-Scheibe (grau), entsteht für einen winzigen Augenblick ein Magnetfeld (schwarze Linien). Bild: Lucchesi, Uta (HZDR) | Download

„Die Idee ist eigentlich ganz simpel“, meint Prof. Martin Mittendorff von der Universität Duisburg-Essen. „Im Nachhinein wundert es uns, dass das nicht vorher schon jemand gemacht hat", fügt der Initiator der Studie hinzu. Erstaunlich auch die Effizienz, mit der sich der Prozess abspielt: Im Vergleich zu Versuchen, bei denen Nanopartikel aus Gold mit Licht bestrahlt werden, verlief das Experiment am HZDR um das Millionenfache effizienter – eine beeindruckende Steigerung. Nutzbar machen ließe sich das neue Phänomen zunächst für wissenschaftliche Experimente, bei denen Materialproben kurzen, aber starken Magnetpulsen ausgesetzt werden, um gewisse Materialeigenschaften näher zu untersuchen.

Der Vorteil: „Bei unserem Verfahren polt sich das Magnetfeld nicht um, so wie bei vielen anderen Methoden“, erklärt Winnerl. „Es bleibt also unipolar.“ Will heißen: Während der zehn Pikosekunden, die der Magnetpuls aus den Graphen-Scheiben anhält, bleibt der Nordpol ein Nordpol und der Südpol ein Südpol – ein mögliches Plus für bestimmte Versuchsreihen.

Der Traum von der Magnet-Elektronik

Auf lange Sicht könnten die magnetischen Winzlinge sogar für manche Zukunftstechnologie taugen: Da sie durch ultrakurze Strahlungsblitze erzeugt werden, könnten die Graphen-Scheibchen extrem schnelle und zugleich präzise magnetische Schaltprozesse ausführen. Interessant könnte das zum Beispiel für die magnetische Speichertechnik sein, aber auch für die sogenannte Spintronik – quasi eine Art Magnet-Elektronik. Hier sollen in einem Prozessor keine Ladungen mehr fließen, sondern schwache Magnetfelder in Form von Elektronen-Spins weitergereicht werden, ähnlich wie winzige Staffelhölzer. Das könnte, so die Hoffnung, die Schaltprozesse noch einmal deutlich beschleunigen. Scheiben aus Graphen wären als schaltbare Elektromagnete denkbar, mit denen sich künftige Spintronik-Chips steuern ließen.

Allerdings müsste die Fachwelt dafür sehr kleine, hochminiaturisierte Terahertz-Quellen erfinden – sicher noch ein weiter Weg. „Man kann dafür ja nicht einen ausgewachsenen Freie-Elektronen-Laser verwenden wie bei unserem Versuch“, kommentiert Stephan Winnerl. „Aber immerhin: Für künftige wissenschaftliche Experimente dürften Strahlungsquellen genügen, die auf einen Labortisch passen.“ Und solche deutlich kompakteren Terahertz-Quellen sind in manchen Forschungseinrichtungen bereits zu finden.

Publikation:

J.W. Han, P. Sai, D-B. But, E. Uykur, S. Winnerl, G. Kumar, M.L. Chin, R.L. Myers-Ward, M.T. Dejarld, K.M. Daniels, T.E. Murphy, W. Knap, M. Mittendorff: Strong transient magnetic fields induced by THz-driven plasmons in graphene disks, Nature Communications, 2023, (DOI: 10.1038/s41467-023-43412-x).

Link zur Pressemeldung der Universität Duisburg-Essen

Weitere Informationen:

Dr. Stephan Winnerl
Institut für Ionenstrahlphysik und Materialforschung am HZDR
Tel.: +49 351 260 3522 | E-Mail: s.winnerl@hzdr.de

Prof. Martin Mittendorff
Experimentalphysik | Fakultät für Physik der Universität Duisburg-Essen
Phone: +49 203 37 92273 | Email: martin.mittendorff@uni-due.de

Medienkontakt:

Simon Schmitt | Leitung und Pressesprecher
Abteilung Kommunikation und Medien am HZDR
Tel.: +49 351 260 3400 | E-Mail: s.schmitt@hzdr.de