Positronen-Annihilations-Spektroskopie am HZDR
Die Positronen-Annihilations-Spektroskopie (PAS) erlaubt interessante Untersuchungen im Gebiet der Materialphysik. Dabei werden die Anti-Teilchen der Elektronen als Sonde genutzt, um Materialdefekte im atomaren Bereich und mit höchster Sensitivität aufzulösen. Bis heute hat sich die zerstörungsfreie Materialuntersuchung mit Positronen zu einer etablierten Methode entwickelt, die für viele Untersuchungen von Metallen, Halbleitern, Polymeren und porösen Materialien angewendet wird.
Trifft ein Positron auf ein Elektron, zerstrahlen (annihilieren) beide Teilchen und es werden in der Regel zwei Photonen mit einer Energie von jeweils 511 keV in entgegengesetzter Richtung emittiert. Verschiedene Messtechniken beruhen auf der Detektion dieser Annihilations-Quanten. In Anwesenheit von Störungen im Kristallgitter, wie atomaren Defekten, ändert sich die Energie- sowie Dichteverteilung der Elektronen, was Rückschlüsse auf Art und Anzahl von Defekten in Festkörpern ermöglicht. Da die positiv geladenen Positronen von Atomkernen abgestoßen werden, werden sie bevorzugt von (negativen oder neutralen) Leerstellen, Korngrenzen und kleinen Hohlräumen eingefangen (trapping), in denen sie dann mit einem Elektron zerstrahlen. Somit eignen sich Positronen zum Aufspüren und Identifizieren von Defekten im atomaren Bereich. Die wichtigsten Techniken der Positronen-Annihilations-Spektroskopie sind dabei die Messung der Positronen-Lebensdauer sowie der Dopplerverbreiterung der Annihilationslinie.
- Bei der Positronen-Annihilations-Lebensdauer-Spektroskopie (PALS) wird die Zeitdifferenz zwischen der Entstehung des Positrons (und Einbringen in das zu untersuchende Material) und der Emission der beiden 511 keV- Quanten gemessen. Positronen werden bevorzugt in Defekten eingefangen in deren Umgebung gleichzeitig die lokale Elektronendichte geringer ist. Somit wird die Annihilation von Positron und Elektron unwahrscheinlicher und die Lebensdauer des Positrons verlängert sich entsprechend der Größe und des Typs des Defekts. Die Positronen-Annihilations-Lebensdauer-Spektroskopie ist also ein gutes Maß für Größe und Anzahl von leerstellenartigen Defekten (Nanokavitäten). Die Lebensdauer ist für jedes Material charakteristisch und variiert stark für verschiedene Defekttypen. So beträgt sie zum Beispiel für defektfreies Eisen 108 ps, für den Fall einer atomaren Einfachleerstelle im Eisen dagegen 175 ps.
- Die Dopplerverbreiterung-Spektroskopie (DBS) basiert auf dem Prinzip des Impuls-Erhaltungssatzes während der Annihilation. Demnach werden Energie und Impuls des Elektron-Positron-Paares direkt auf die Annihilationsquanten übertragen und führen bei der zwei-Photonenannihilation zu einer Abweichung von 511 keV, also einer Dopplerverbreiterung der Annihilationslinie. Da das Positron während der Annihilation nahezu in Ruhe ist, lässt sich aus der Dopplerverbreiterung auf die Energieverteilung des annihilierten Elektrons schließen. Dies erlaubt eine Untersuchung der Elektronenverteilung und Elektronenstruktur im Impulsraum und ermöglicht Rückschlüsse über die chemischen Bedingungen rund um den Ort der Annihilation. So können Dekorationen von Defekten mit Fremdatomen oder Ansammlungen wie Ausscheidung in Materialien bestimmt werden.
Abhängig von ihrer Energie werden Positronen unterschiedlich tief in ein Material implantiert. Nach der Thermalisierung (Verringerung der Positronenenergie auf thermische Energie) diffundieren Positronen noch einige 10 - 100 Nanometer, bis sie entweder von Defekten eingefangen werden oder im ungestörten Material zerstrahlen. Das somit entstehende Tiefenprofil, eine von der Eingangsenergie abhängige Makhov-Verteilung, lässt sich genau berechnen. Dadurch eignet sich die Positronen-Annihilations-Spektroskopie hervorragend zur tiefenabhängigen Defektcharakterisierung von dünnen Schichten. Die verschiedenen zerstörungsfreien Methoden erlauben somit Untersuchungen kleinster Defekte in Kristallen, Metallen, Halbleitern und Polymeren. Auch Hohlräume im Nanometer-Bereich sowie chemische Strukturen in Flüssigkeiten können untersucht und vermessen werden. Verglichen mit anderen Standardmethoden der Materialuntersuchung weist die Positronen-Annihilations-Spektroskopie somit die höchste Sensitivität für atomare Defekte in schon geringen Konzentrationen aus. Am HZDR werden in Kooperation mit dem Materialwissenschaftlichen Zentrums der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg verschiedene Experimente zur Anwendung der Positronen-Annihilations-Spektroskopie betrieben. Dabei werden sowohl Fragestellungen aus dem Bereich der Grundlagenforschung (Entstehung und Verhalten atomarer Defekten) als auch der angewandten Forschung (Vorhersagen von Materialermüdung) untersucht. Es werden mehrere Messplätze zur Positronenannihilation betrieben, die jeweils auf die unterschiedlichen Materialklassen und Empfindlichkeiten optimiert sind.
Senstitivität der Positronen-Annihilations-Spektroskopie im Vergleich zu anderen Standardmethoden der Materialuntersuchung (links) und Wechselwirkung von Positronen in Materie (rechts). |
Illustration: Maik Butterling (Download) |
Positronen an ELBE
Die ELBE Positron Source (kurz EPOS) ist eine einzigartige Kombination verschiedener Positronenquellen für Materialuntersuchungen am supraleitdenden Elektronen-Linearbeschleuniger ELBE. EPOS setzt sich aus vier Teilsystemen zusammen, von denen drei die einzigartigen Eigenschaften von ELBE nutzen:
- Mono-energetische Positronen-Spektroskopie - MePS
Mittels Paarbildung wird aus dem primären Elektronenstrahl der ELBE-Anlage in einem Wolfram-Target ein mono-energetischer Positronenstrahl erzeugt. Dabei wird die Zeitstruktur des gepulsten ELBE-Strahls direkt auf den Positronenstrahl übertragen. Es ergibt sich somit eine gepulste Positronenquelle mit hoher Wiederholrate und Intensität und einstellbarer Energie. Damit können Positronen-Lebensdauer und Doppler-Verbreiterungsuntersuchungen an Oberflächen und Tiefenprofil-Messungen von dünnen Schichten durchgeführt werden.Parameter des Positronenstrahls kinetische Energie 0.5 - 15 keV Pulslänge 250 ps FWHM Wiederholrate 1.625 - 13 MHz Positronenfluss 106 / s
Schematischer Aufbau der Positronenstrahlapparatur MePS. - Gamma-induzierte Positronen-Spektroskopie - GiPS
Am Messplatz der Kernphysik wird aus dem primären Elektronenstrahl der ELBE-Anlage ein gepulster Strahl hochenergetischer Photonen (Bremsstrahlung) erzeugt. Diese Photonen erzeugen dann in der Probe mittels Paarbildung Positronen, die dann direkt in Positronen-Lebensdauer und Doppler-Verbreiterungsuntersuchungen verwendet werden. Mit diesem weltweit einzigartigen System können sowohl Volumen-Proben (> 1 cm3) von Festkörpern, als auch Flüssigkeiten, Gase oder aktivierte Proben (wegen eines sehr guten Signal-zu-Untergrund Verhältnisses) untersucht werden. Weiterhin wird an diesem Aufbau auch eine bildgebende Positronenlebensdaueruntersuchung eingesetzt, die eine dreidimensionale Verteilung von Positronenlebensdauern in Volumenproben ermöglicht.Parameter Photonenenergie max. 16 MeV Pulslänge ~ 10 ps Wiederholrate 26 MHz / 2n n=0 ... 6
Schematischer Aufbau der Positronenlebensdauerapparatur GiPS. - Quelle-basierte monoenergetische Positronen-Annihilationsspektroskopie
Eine Messplatz zur monoenergetischen Dopplerverbreiterungsspektroskopie (SPONSOR) and dünnen Schichten wird mit Positronen aus dem Zerfall von Na-22 verwendet, der unabhängig vom Betrieb des Beschleunigers Messunge ermöglicht. Weiterhin dient dieser Positronenstrahl zur in-situ Untersuchung von Defekterzeugungen im AIDA System.
Schematischer Aufbau der Positronenstrahlapparatur SPONSOR. - Konventionelle Positronen-Lebensdauerspektroskopie - LT
Zur Vor-Charakterisierung von Proben und zu begleitenden Messungen wird ein konventioneller Lebensdauer-Messplatz eingesetzt, der ebenfalls Positronen aus dem Zerfall von Na-22 einsetzt. - In-situ Charakterisierung von Defekten: AIDA
Zur in-situ Charakterisierung des Entstehens von Defekten in neuartigen Materialien wurde eine Anlage ("Apparatus for in-situ Defect Analysis") errichtet, die es erlaubt, durch Ionenimplantation oder Bedampfung hergestellte dünne funktionale Schichten an Ort und Stelle mittels Positronen-Annhiliationsspektroskopie zu untersuchen. Eine Besonderheit ist, dass diese Untersuchungen/Simulationen im oberflächennahen Bereich bereits auf der atomaren Skala, d.h. in einem frühen Stadium der Defektentstehung erfolgen, sowie in-situ („live“-Messungen) und somit ein grundlegendes Verständnis der Defektentstehung erlauben.
Alle Systeme haben unterschiedliche Schwerpunkte und decken im Rahmen des EPOS-Systems wesentliche Standardtechniken der Positronen-Annihilations-Spektroskopie ab. Aufgrund der einzigartigen Zeitstruktur des ELBE-Beschleunigers eignen sich die Systeme MePS und GiPS darüber hinaus auch für die korrelierte Messung der Positronen-Lebensdauer sowie der Dopplerverbreiterung, welche zusätzliche Informationen über die untersuchten Materialien liefert. Die hohe Intensität des ELBE-Beschleunigers gewährt dabei sehr kurze Messzyklen und erlaubt somit die direkte Untersuchung temperaturabhängiger Prozesse und unter Umständen auch von dynamischen Vorgängen. Das EPOS-System ist für die Forschung zu materialwissenschaftlichen Problemen ausgelegt und explizit für den Betrieb von externen Nutzergruppen vorgesehen. Zweimal jährlich werden Nutzer aufgerufen, Anträge für Strahlzeit an ELBE einzureichen. Weitere Informationen zur Beantragung finden sich hier.
Aktuelle Publikationen
Voltage‐driven motion of nitrogen ions: a new paradigm for magneto‐ionics
J. de Rojas; A. Quintana; A. Lopeandia; J. Salguero; B. Muñiz; F. Ibrahim; M. Chshiev; A. Nicolenco; M. O. Liedke; M. Butterling; A. Wagner; V. Sireus; L. Abad; C. Jensen; K. Liu; J. Nogues; J. Costa-Krämer; J. Sort; E. Menéndez
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Nature Communications 11(2020), 5871
DOI: 10.1038/s41467-020-19758-x
Boosting Room-Temperature Magneto-Ionics in a Non-Magnetic Oxide Semiconductor
J. de Rojas; A. Quintana; A. Lopeandía; J. Salguero; J. L. Costa-Krämer; L. Abad; M. O. Liedke; M. Butterling; A. Wagner; L. Henderick; J. Dendooven; C. Detavernier; J. Sort; E. Menéndez
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Advanced Functional Materials 30(2020)36, 2003704
DOI: 10.1002/adfm.202003704
A New Mechanism for Void-Cascade Interaction from Non-destructive Depth-resolved Atomic-scale Measurements of Ion Irradiation-induced Defects in Fe
S. Agarwal; M. O. Liedke; A. C. L. Jones; E. Reed; A. A. Kohnert; B. P. Uberuaga; Y. Q. Wang; J. Cooper; D. Kaoumi; N. Li; R. Auguste; P. Hosemann; L. Capolungo; D. J. Edwards; M. Butterling; E. Hirschmann; A. Wagner; F. A. Selim
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Science Advances 6(2020)31, eaba8437
DOI: 10.1126/sciadv.aba8437
Vacancy-Hydrogen Interaction in Niobium during Low-Temperature Baking
M. Wenskat; J. Čižek; M. O. Liedke; M. Butterling; C. Bate; P. Haušild; E. Hirschmann; A. Wagner; H. Weise
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Scientific Reports 10(2020), 8300
DOI: 10.1038/s41598-020-65083-0
The role of open-volume defects in the annihilation of antisites in a B2-ordered alloy
J. Ehrler; M. O. Liedke; J. Cizek; R. Boucher; M. Butterling; S. Zhou; R. Böttger; E. Hirschmann; T. T. Trinh; A. Wagner; J. Lindner; J. Fassbender; C. Leyens; K. Potzger; R. Bali
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Acta Materialia 176(2019), 167-176
DOI: 10.1016/j.actamat.2019.06.037
Voltage-controlled ON-OFF ferromagnetism at room temperature in a single metal oxide film
A. Quintana; E. Menéndez; M. O. Liedke; M. Butterling; A. Wagner; V. Sireus; P. Torruella; S. Estradé; F. Peiró; J. Dendooven; C. Detavernier; P. Murray; D. A. Gilbert; K. Liu; E. Pellicer; J. Nogués; J. Sort
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ACS Nano 12(2018), 10291-10300
DOI: 10.1021/acsnano.8b05407
Metal oxide double layer capacitors by electrophoretic deposition of metal oxides. Fabrication, electrical characterization and defect analysis using positron annihilation spectroscopy
R. C. Hoffmann; N. Koslowski; S. Sanctis; M. O. Liedke; A. Wagner; M. Butterling; J. J. Schneider
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Journal of Materials Chemistry C 6(2018), 9501-9509
DOI: 10.1039/C8TC03330G
Improving depth resolutions in positron beam spectroscopy by concurrent ion-beam sputtering
M. John; A. Dalla; A. M. Ibrahim; W. Anwand; A. Wagner; R. Böttger; R. Krause-Rehberg
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Nuclear Instruments and Methods in Physics Research B 423(2018), 62-66
DOI: 10.1016/j.nimb.2018.03.017
Purely Antiferromagnetic Magnetoelectric Random Access Memory
T. Kosub; M. Kopte; R. Hühne; P. Appel; B. Shields; P. Maletinsky; R. Hübner; M. O. Liedke; J. Fassbender; O. G. Schmidt; D. Makarov
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Nature Communications 8(2017), 13985
DOI: 10.1038/ncomms13985