Anthropogene Radionuklide

Liste von wichtigen anthropogenen Radionukliden ©Dr. Sebastian Fichter

Als anthropogene Radionuklide werden alle radioaktiven Nuklide bezeichnet, welche durch die technologische Nutzung von Kernreaktionen erzeugt wurden und werden. Der Großteil dieser Radionuklide wurde in den 1950er und 1960er Jahren durch die atmosphärischen Kernwaffentests in die Umwelt freigesetzt. Außerdem stellt die zivile Nutzung der Kernspaltung zur Energieerzeugung in Kernkraftwerken einen weiteren Eintragsweg dar. Dabei sind insbesondere die Reaktorunfälle in Tschernobyl (1986) und Fukushima-Daiichi (2011) sowie der stetige Eintrag durch Wiederaufbereitungsanlagen von Relevanz. Die technologische Nutzung der Kernspaltung hat somit zu einer weltweiten Verteilung von Spalt- und Aktivierungsprodukten sowie Aktiniden in der Umwelt geführt. Daher ist eine Überwachung und Erfassung dieser Radionuklide von besonderer Wichtigkeit, um das Gesundheitsrisiko der Bevölkerung zu minimieren aber auch um illegale Aktivitäten mit radioaktiven Materialien aufzuklären. Auf der anderen Seite hat die Freisetzung dieser Nuklide in die Umwelt weitere Grundlagenforschung im Bereich der Geowissenschaften, Ökologie und Medizin erst ermöglicht. Durch die Beschleuniger-Massenspektrometrie können wenige Atome dieser anthropogenen Radionuklide in verschiedensten Umweltproben detektiert und deren Herkunft analysiert werden. Mit keiner anderen analytischen Methode sind derart geringe Nachweisgrenzen möglich, was die Beschleuniger-Massenspektrometrie einzigartig für die Ultraspurenanalyse von Radionukliden macht.

Anwendungen

'Ivy Mike' Atmosphärischer Kernwaffentest - November 1952 ©CTBTO CC BY 4.0

'Ivy Mike' Atmosphärischer Kernwaffentest, November 1952

Kernwaffen-Effekt. Die atmosphärischen Kernwaffentests haben aufgrund ihres immensen Neutronenflusses das Vorkommen bestimmter Radionuklide signifikant erhöht. So hat sich z. B. der 14C-Gehalt in der Atmosphäre im Jahr 1963 verdoppelt. Durch die stetige Aufnahme in die Ozeane und die Biosphäre hat sich dieser Gehalt heute wieder nahezu dem ursprünglichen Level angeglichen. Dieser starke Konzentrationsanstieg ermöglicht es, sehr genaue Datierungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts durchzuführen und unter Umständen sogar das genaue Jahr zu bestimmen. Dies wird genutzt, um mit Hilfe dieser Radionuklide eine Vielzahl von biologischen und ökologischen Prozessen zu untersuchen. Dieser Bomben-Puls hat insbesondere dazu beigetragen, unser Verständnis des globalen Kohlenstoffkreislaufs signifikant zu verbessern.

Beprobung von Korallen ©U.S. Geological Survey

Beprobung von Korallen

Bestimmung von Meeresströmungen. Mit Hilfe von anthropogenen Radionukliden ist es möglich, den Verlauf von Meeresströmungen und die marine Geochemie von Spurenelementen aufzuklären. Da sich der Zeitpunkt des Eintrags dieser Radionuklide in die Ozeane genau bestimmen lässt, sind detaillierte Untersuchungen der Verteilung und des Transports in den Weltmeeren möglich. Außerdem kann der Nährstofftransport und die Sedimentationsmechanismen von verschiedenen Elementen mit Hilfe der radioaktiven Isotope untersucht werden. Ein Beispiel für einen solchen Tracer ist das Nuklid 236U, während die verschiedenen Plutoniumisotope meist schnell als unlösliche Verbindungen abgeschieden werden. 14C aus den Kernwaffentests wäre ebenfalls ein sehr guter Marker für die Meeresströmungen. Jedoch wurden zur Zeit der maximalen Konzentration in der Atmosphäre nur sehr wenige Daten erhoben, da die Beschleuniger-Massenspektrometrie noch nicht als Messmethode zur Verfügung stand. Derartige Daten geben einen Einblick in den Austausch von CO2 zwischen der Atmosphäre und dem Ozean, ein wichtiger Bestandteil zum Verständnis des globalen Kohlenstoffkreislaufs.

Kernkraftwerk Isar ©Preussen Electra GmbH

Kernkraftwerk Isar

Rückbau von kerntechnischen Anlagen. Der Reaktordruckbehälter und die umliegenden Konstruktionsmaterialien werden während der Laufzeit einem konstanten Neutronenfluss ausgesetzt. Dies führt zur Bildung von radioaktiven Aktivierungsprodukten wie 14C, 36Cl, 41Ca, 55Fe, 59/63Ni, 60Co, 99Tc oder 152/154Eu. Neben einigen kurzlebigen Gammastrahlern wie 60Co oder 152/154Eu haben die meisten dieser Radionuklide relativ lange Halbwertzeiten, weshalb sie mit herkömmlichen radioanalytischen Messmethoden nur schwer erfasst werden können. Die Beschleuniger-Massenspektrometrie stellt eine Alternative zu diesen klassischen Methoden dar, um die Menge der Aktivierungsprodukte effektiv bestimmen zu können. Dies ermöglicht letztendlich einen effektiven Rückbau der kerntechnischen Anlagen.


Nutzer Informationen

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Projekte und Kollaborationen

  • MetroPOEM (Metrology of Pollutants in the Environment by Mass Spectrometry): Dieses von EURAMET (EU) finanzierte Projekt ist Teil des “European Green Deal” und wird zum speziellen Null-Schadstoff-Aktionsplan beitragen. Innerhalb des Projektes werden neue SI konforme Standard-Referenzmaterialien für die Massenspektrometrie von Schadstoffen entwickelt sowie Richtlinien für die besten Methoden zur Bestimmung dieser Schadstoffe erarbeitet. Das Projekt befasst sich mit einer Serie von stabilen und radioaktiven Nukliden. Für die Beschleunigermassenspektrometrie sind die inkludierten Radioisotope 90Sr, 236U, 239Pu, 240Pu und 241Am sehr interessant, weil es die sensitivste Methode ist, um diese in den geringsten Konzentrationen in der Umwelt nachzuweisen. Das Konsortium umfasst 22 Labore in Europa und Kooperationspartner in der Industrie. Das HZDR ist eines von drei Laboren, die über ein Beschleunigermassenspektrometer verfügen. Laufzeit: 10/2022 – 09/2025
  • MARATON (Entwicklung von neuartigen Methoden zur Massenspektrometrischen Analyse von langlebigen schwer messbaren Radionukliden in aktivierten Betonverbundmaterialien): Dieses vom BMBF finanzierte Projekt beschäftigt sich mit dem Rückbau von kerntechnischen Anlagen. Das Ziel des Projektes ist es, massenspektrometrische Analysenmethoden zur Bestimmung von langlebigen Betastrahlern wie 36Cl, 41Ca, 55Fe und 59Ni in aktivierten Strukturmaterialien von verschiedenen Kernkraftwerken zu entwickeln und zu verifizieren. Dies ist eine geplante Kollaboration mit dem Institut für Ressourcenökologie am HZDR und den Universitäten in Hannover und Mainz. Erwartete Laufzeit: 06/2023 – 05/2026 (Antrag eingereicht)
  • Gemeinsame Doktorandin mit dem Institut für Ressourcenökologie (Janis Wolf): Im Rahmen dieses vom Vorstand des HZDR geförderten Programms sollen neue Wege zur quantitativen und qualitativen Charakterisierung von 231Pa in Umweltproben gefunden werden. Neben der Entwicklung von Verfahren zur Abtrennung und Aufreinigung von Protactinium zur quantitativen Bestimmung mittels Beschleuniger-Massenspektrometrie werden auch die grundlegenden chemisch-physikalischen Eigenschaften von Protactinium untersucht. Laufzeit: 09/2022 – 08/2025
  • Gemeinsamer Doktorand mit der Universität Wien (Alexander Wieser): Entwicklung der Ionen-Laser Wechselwirkungs-Massenspektrometrie zur Bestimmung von 135Cs und 137Cs.
Literatur

Grundlagen

  • Diamond, H., Fields, P.R., Stevens, C.S., Studier, M.H., Fried, S.M., Inghram, M.G., Hess, D.C., Pyle, G.L., Mech, J. F., Manning, W.M., Ghiorso, A., Thompson, S.G., Higgins, G.H., Seaborg, G.T., Browne, C.I., Smith, H.L. and Spence, R.W. (1960). Heavy isotope abundances in Mike thermonuclear device. Physical Review, 119(6), 2000. https://doi.org/10.1103/PhysRev.119.2000

Eigene Publikationen (siehe auch hier)

  • Hain, K., Steier, P., Froehlich, M.B., Golser, R., Hou, X., Lachner, J., Nomura, T., Qiao, J., Quinto, F. and Sakaguchi, A. (2020). 233U/236U signature allows to distinguish environmental emissions of civil nuclear industry from weapons fallout. Nature Communications, 11, 1275. https://doi.org/10.1038/s41467-020-15008-2
  • Winkler, S.R., Eigl, R., Forstner, O., Martschini, M., Steier, P., Sterba, J.H. and Golser, R. (2015). Using the nuclear activation AMS method for determining chlorine in solids at ppb-levels and below. Nuclear Instruments and Methods in Physics Research Section B: Beam Interactions with Materials and Atoms, 361, 649-653. https://doi.org/10.1016/j.nimb.2015.06.003
  • Quinto, F., Hrnecek, E., Krachler, M., Shotyk, W., Steier, P. and Winkler, S.R. (2013). Determination of 239Pu, 240Pu, 241Pu and 242Pu at femtogram and attogram levels – evidence for the migration of fallout plutonium in an ombrotrophic peat bog profile. Environmental Science: Processes and Impacts, 15, 839-847. https://doi.org/10.1039/C3EM30910J
  • Winkler, S.R., Steier, P. and Carilli, J. (2012). Bomb fall-out 236U as a global oceanic tracer using an annually resolved coral core. Earth and Planetary Science Letters, 359-360, 124-130. https://doi.org/10.1016/j.epsl.2012.10.004
  • Srncik, M., Hrnecek, E., Steier, P., Wallner, A., Wallner, G. and Bossew, P. (2008). Vertical distribution of 238Pu, 239(40)Pu, 241Am, 90Sr and 137Cs in Austrian soil profiles. Radiochimica Acta, 96, 733-738. https://doi.org/10.1524/ract.2008.1559