Kernphysik

Die moderne Beschleunigermassenspektrometrie (accelerator mass spectrometry, AMS) ist eine Technik, die in den späten siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts in traditionellen Kernphysiklabors entwickelt wurde. AMS wird in vielen verschiedenen Forschungsbereichen angewandt, darunter unter anderem in der nuklearen Forensik, Astrophysik, kosmische Strahlung, Meteoriten, Kernphysik und Teilchenphysik.

Anwendungen

Nuklidkarte ©Edward Simpson, https://people.physics.anu.edu.au/~ecs103/chart

Nuklidkarte: Edward Simpson, https://people.physics.anu.edu.au/~ecs103/chart

Messungen der Halbwertszeit. Halbwertszeiten sind eine grundlegende kernphysikalische Größe für Datierungsanwendungen, bei denen der Zerfall in Verbindung mit seiner Halbwertszeit verwendet wird (eine Ausnahme ist 14C, wo eine vom Halbwertszeitwert unabhängige absolute Zeitkalibrierung z. B. durch Baumringe vorhanden ist). Die Halbwertszeit steht häufig auch in direktem Zusammenhang mit dem Isotopenverhältnis von AMS-Standards, da die absolute Anzahl des Radionuklids in einer Probe aus seiner Aktivität und dem Halbwertszeitwert abgeleitet werden kann. Neue, hochmoderne AMS-Systeme können hochpräzise Daten liefern, z. B. können 10Be/9Be-Verhältnisse mit einer Genauigkeit von besser als 1% gemessen werden (und 14C-Daten mit 0.1% Unischerheit). Daher müssen auch die Standards und folglich die Halbwertszeiten genau bekannt sein. AMS wurde zur Messung der Halbwertszeiten von langlebigen Radionukliden verwendet, für Werte zwischen ca. 130 Jahren (32Si) und 100 Millionen Jahren (146Sm).

Island of stability ©Yuri Organessian

In dieser Abbildung stellen die Schiffe symbolisch die chemischen Reaktionen dar, mit denen experimentell versucht wird, die "Insel der Stabilität" der überschweren Elemente zu erreichen.

Suche nach neuen Elementen schwerer als Aktinide (natürliche und künstlich erzeugte Superheavies). Die Entdeckung neuer (natürlicher oder künstlich hergestellter) Elemente ist eine treibende Kraft in Chemie und Physik. Die Suche nach langlebigen überschweren Elementen, die möglicherweise seit der Entstehung des Sonnensystems in der Natur vorkommen, begann kurz nachdem die Hypothese einer Stabilitätsinsel aufgestellt worden war. Derartige schwere Kerne könnten bei der Nukleosynthese durch den schnellen (r-) Neutroneneinfangprozess entstehen, analog der Nukleosynthese von natürlich vorkommendem Thorium und Uran. Ähnlich wie bei der Suche nach längerlebigen interstellaren Radionukliden in terrestrischen Archiven (siehe Astrophysik und Meteoriten) wird AMS auch zur direkten Suche nach solchen exotischen Nukliden eingesetzt. Bisher gibt es keine Hinweise auf deren natürliche Existenz, und die AMS-Messungen haben die Limits der Häufigkeit im Bereich von 10-12 bis 10-16 im Vergleich zu stabilen chemischen Homologen erreicht.

U und Pu produktion

Produktion der wichtigsten Aktinidennuklide durch Neutroneneinfangreaktionen

Nukleosynthese im Labor - Kernreaktionsstudien. Die Kenntnis der Wirkungsquerschnitte von Kernreaktionen war schon immer ein Hauptziel der experimentellen Kernphysik. Kernphysikalische Daten sind für viele Anwendungen von entscheidender Bedeutung und AMS stellt einen komplementären Ansatz für die präzise Messung von Wirkungsquerschnitten dar (siehe auch Astrophysik und Meteorite). Zu diesen Anwendungen gehören die nukleare Astrophysik (Nukleosynthese, Kosmochemie, Meteoriten), die Raumfahrttechnik, die Kerntechnik (Kernfusion, Kernspaltung und fortgeschrittene Reaktorkonzepte) und medizinische Anwendungen (Hadronentherapie, Messung der Strahlendosis). Darüber hinaus sind viele angewandte AMS-Forschungsbereiche auf die Kenntnis der Produktion kosmogener Radionuklide in Umwelt-, geologischen und extraterrestrischen Studien angewiesen. Wirkungsquerschnitte und – durch Kernreationen – induzierte Aktivitäten von neu produzierten Radionukliden sind Schlüsselparameter für Sicherheits- und Auslegungsanalysen in fortgeschrittenen Reaktorkonzepten, z. B. für Fusionsanwendungen; d. h. genaue Wirkungsquerschnitte sind für die Berechnung der Produktion langlebiger Aktivierungsprodukte von entscheidender Bedeutung. In einer Fusionsumgebung können insbesondere langlebige Aktivierungsprodukte zu erheblichen langfristigen Abfallentsorgungen und Strahlungsschäden führen.

ITER Tokamak and Plant Systems ©Oak Ridge National Laboratory

Schematische Darstellung von ITER (Tokamak Fusionsreaktor, im Aufbau in Frankreich)

Diese Arbeiten beziehen sich auf ITER (International Thermonuclear Experimental Reactor, Generation IV-Reaktore) fortgeschrittene Reaktorkonzepte, beschleunigergetriebene Systeme und Beschleuniger für medizinische Anwendungen. Unserere Forschungsaktivitäten umfassen eine Reihe von Kooperationen, z. B. mit JRC/IRMM (Joint European Centre, Geel, Belgien), IAEA (Wien), VERA (Universität Wien), ANSTO/Sydney, FRM II/TU München, ILL/Grenoble und Atominstitut - TU Wien. Wir kollaborieren mit der IAEA im Rahmen ihres Programms für die genaue Definition von Standards in der Neutronenforschung. Außerdem sind wir durch ergänzende Messungen Teil der n_TOF-Kollaboration. n_TOF ist eine gepulste Neutronenquelle am CERN, die zur Untersuchung neutroneninduzierter Wechselwirkungen bei Neutronenenergien zwischen meV und GeV entwickelt wurde. Die Forschungsgebiete reichen von der stellaren Nukleosynthese bis hin zu Anwendungen der Kerntechnik, einschließlich der Transmutation von Nuklearabfällen und beschleunigergetriebenen Systemen.

NaI Kristall ©M.A. Oliván Light yield determination in large sodium iodide detectors applied in the search for dark matter, Astroparticle Physics 2017

Ein 10,7 kg schwerer hexagonaler NaI(Tl)-Kristall zum Nachweis dunkler Materie

Spuren von radioaktiven Nukliden in Teilchendetektoren für Studien über dunkle Materie. Die AMS ermöglicht die Untersuchung extrem niedriger Radioaktivitätswerte in ultrahochreinen Detektormaterialien, die genau charakterisiert werden müssen, um höchstsensitive Studien zum Nachweis der Dunklen Materie zu erlauben. Wir sind Teil der SABRE-South-Collaboration im Rahmen einer australischen Exzellenzinitiative für "Teilchenphysik der dunklen Materie". SABRE (Sodium iodide with Active Background Rejection) ist ein System zum direkten Nachweis dunkler Materie, das in einem unterirdischen Labor in Australien installiert wird.

Messung der Neutrinomasse. 163Ho (T1/2 = 4570 Jahre) ist ein äusserst interessanter Kandidat für die Untersuchung der Massenskala des Elektronneutrinos. Der Hauptgrund dafür liegt in seiner Zerfallscharakteristik, die über einen sehr niederenergetischen Elektroneneinfang passiert. Entscheidend für diese Experimente ist die Herstellung einer Probe, die 163Ho mit ausreichender Aktivität und hoher Isotopenreinheit enthält (siehe ECHO project). Ein wichtiges Anliegen in dieser Hinsicht ist die mögliche gleichzeitige Produktion eines anderen – störenden – langlebigen Isotops 166mHo (T1/2 = 1200 Jahre). AMS wird zur Überprüfung der Isotopenreinheit von 163Ho und zur Quantifizierung von 166mHo-Verunreinigungen eingesetzt.


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Projekte und Kollaborationen

Literatur

Grundlagen

  • W. Kutschera and M. Paul (1990), Accelerator mass spectrometry in nuclear physics and astrophysics, Annu. Rev. Nucl. Part. Sci. 40, 411-438.
  • L.Gastaldo et al., The electron capture in 163Ho experiment – ECHo Eur. Phys. J. Spec. Top. 226, 1623-1694 (2017)
  • M. Antonello et al., (The SABRE collaboration), The SABRE project and the SABRE Proof-of-Principle. https://arxiv.org/abs/1806.09340, The European Physical Journal C79 (2019) 363.

Eigene Publikationen (siehe auch hier)

  • Wallner, A., Bichler, M., Buczak, K., Dillmann, I., Käppeler, F., Karakas, A., Lederer, C., Lugaro, M., Mair, K., Mengoni, A., Schätzel, G., Steier P. and Trautvetter, H.P. (2016). Accelerator mass spectrometry measurements of the 13C(n,γ)14C and 14N(n,p)14C cross sections. Phys. Rev. C93, 045803. https://doi.org/10.1103/PhysRevC.93.045803
  • Damone, L. et al. (The n_TOF collaboration) (2018). The 7Be(n,p)7Li reaction and the Cosmological Lithium Problem: measurement of the cross section in a wide energy range at n_TOF (CERN). Physical Review Letters 121, 042701. https://doi.org/10.1103/PhysRevLett.121.042701
  • Gyürky, Gy., Fülöp, Zs., Käppeler, F., Kiss, G.G. and Wallner, A. (2019). The activation method for cross section measurements in nuclear astrophysics. Review, Europ. Phys. Journal A 55, 41.